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Salamitaktik bei Analyse der Wartezeiten verschleiert realen Umfang

vdek-Auswertung zu Wartezeiten in der Psychotherapie

(BPtK) Eine heute vom Verband der Ersatzkassen (vdek) veröffentlichte Analyse zu Wartezeiten in der ambulanten Psychotherapie versucht, das bestehende Versorgungsproblem kleinzurechnen. „Statt den gesamten Prozess der Wartezeit bis zum Beginn einer ambulanten Psychotherapie in den Blick zu nehmen, hat der vdek lediglich zwei kleinere Teilabschnitte betrachtet“, kritisiert Dr. Andrea Benecke, Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). „Mit dieser Salamitaktik verschleiert der vdek das reale Versorgungsproblem langer Wartezeiten in der ambulanten Psychotherapie.“ Eine Wartezeit bis zu 12 Tagen zwischen letzter psychotherapeutischer Sprechstunde und erster probatorischer Sitzung herauszustellen, ist irreführend. Zugleich Wartezeiten von mehr als 12 Monaten zu unterschlagen und auf die am besten versorgten 50 Prozent der Patient*innen abzustellen, statt den Durchschnitt zu verwenden, verstellt den Blick auf den tatsächlichen Handlungsbedarf in vielen Regionen. Auch Wartezeiten, die sich dadurch verlängern, dass Patient*innen mehrere Psychotherapeut*innen aufsuchen müssen, bis sie einen Therapieplatz erhalten, werden in der vdek-Analyse herausgerechnet.

Im Durchschnitt warten Patient*innen nach dem Erstgespräch circa 20 Wochen auf den Beginn der Behandlung. Das zeigen übereinstimmend Analysen der BPtK auf der Basis von Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und eine aktuelle Analyse der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns. In dieser Zeit wird die Diagnostik und Indikationsstellung im Rahmen weiterer Sprechstundentermine abgeschlossen und in probatorischen Sitzungen geprüft, ob Patient*in und Psychotherapeut*in vertrauensvoll zusammenarbeiten können und das gewählte Behandlungsverfahren für die Patient*in passt. „Dieser Prozess könnte deutlich verkürzt werden und sollte idealerweise nach sechs bis acht Wochen abgeschlossen sein“, betont Dr. Benecke.

Psychotherapeut*innen müssen derzeit zum Teil Sprechstunden und probatorische Sitzungen über einen längeren Zeitraum strecken, bis sie einen regulären Therapieplatz anbieten können. Insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen gibt es schlicht viel zu wenige Psychotherapeutensitze. Die von der Ampel-Koalition angekündigte Reform der Bedarfsplanung ist überfällig. „Für die psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen und für Menschen in den ländlichen und strukturschwachen Regionen braucht es dringend zusätzliche Behandlungskapazitäten, mindestens im Umfang von 1.600 Sitzen“, fordert BPtK-Präsidentin Dr. Benecke. „Mehr Vermittlung über die Terminservicestellen, wie es der vdek vorschlägt, kann das Problem der fehlenden Therapieplätze nicht lösen. Was nicht vorhanden ist, kann auch nicht vermittelt werden“, betont Benecke.

Aktuelle Psychotherapeutische Versorgung – Status Quo und Perspektiven

Vortrag von Dr. Rüdiger Nübling bei der Behandlungsinitiative Opferschutz (BIOS) Karlsruhe

(LPK BW) LPK-Referent für Psychotherapeutische Versorgung und Öffentlichkeitsarbeit, Dr. Rüdiger Nübling, gab bei einer am 28.4.2023 von der Behandlungsinitiative Opferschutz (BIOS) Karlsruhe hybrid durchgeführten Vortragsveranstaltung einen Überblick über die aktuelle psychotherapeutische Versorgung. Vor ca. 75 Zuhörer*innen, die z.T. bundesweit online zugeschaltet waren, wurden auf der Grundlage einer Vielzahl von Studien aktuelle Daten zur psychotherapeutischen Versorgung präsentiert.

Die stationäre und vor allem ambulante psychotherapeutische Versorgung ist ein Grundpfeiler des Gesundheitswesens für die psychische Gesundheit der Bevölkerung. Nach epidemiologischen Schätzungen, so Nübling, seien ca. 10-20% der Bundesbürger in ihrer psychischen Gesundheit beeinträchtigt bzw. behandlungsbedürftig. Die Krisen der vergangenen 2-3 Jahre (Corona, Ukraine/Geflüchtete) hätten diese Situation verschärft, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, aber auch bei Erwachsenen sei in mehreren Studien eine Zunahme psychischer Belastungen registriert worden. Nach wie vor und seither noch mehr prägten lange Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz v.a. die ambulante Versorgung. Die Bundespsychotherapeutenkammer fordere deswegen seit Jahren eine Anpassung der Bedarfsplanung für die psychotherapeutischen Kassensitze an den realen Bedarf. Dies werde von den Leistungsträgern im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) u.a. mit der Begründung der Ausgabensteigerung anhaltend blockiert.

Wie im Vortrag betont wurde, „lohnten“ sich die Ausgaben für Psychotherapie: die Effektivität psychotherapeutischer Interventionen ist vielfach, auch in großen Versorgungsstudien, nachgewiesen und der gesellschaftliche Nutzen ist hoch. Gesundheitsökonomische Modellschätzungen gehen davon aus, dass sich für jeden in Psychotherapie investierten € ein Nutzen von 2,5 bis 4,5 € ergebe. Neben einer meist durch Psychotherapie u.a. verbesserten gesundheitsbezogenen Lebensqualität, eine Verringerung von Depression und/oder Angst spiele hier z.B. auch der längere Verbleib im Erwerbsleben eine wichtige gesamtgesellschaftliche Rolle.

Im Vortrag wurden Probleme der aktuellen psychotherapeutischen Versorgung insbesondere auf der Grundlage von Routinedaten sowie Daten zur Versorgungsforschung diskutiert und einige potentielle Perspektiven für die Psychotherapie selbst wie auch für ihre gesundheitspolitische Stellung skizziert.

Landeskongress Gesundheit Baden-Württemberg 2023

(LPK BW) Der Landeskongress Gesundheit, der erfreulicherweise gut besucht am 3.2.2023 in der Messe Stuttgart stattfand (Online-Teilnahme war ebenfalls möglich), beschäftigte sich dieses Jahr unter dem Motto „Das Gesundheitssystem im Krisenmodus“ schwerpunktmäßig mit Problemlagen der Krankenhäuser, langen ambulanten Wartezeiten, Versorgungsengpässen und fehlenden Fachkräften. Expertinnen und Experten aus der Gesundheitsforschung und -praxis sowie Entscheiderinnen und Entscheider aus der Politik diskutierten auf dem Stuttgarter Messegelände Lösungsansätze. „Wie die Landespsychotherapeutenkammer auch schon in ihrer Stellungnahme zur Enquetekommission der Landesregierung zum Thema ‚Krisenfeste Gesellschaft‘ hervorgehoben hatte, sollte auch die mentale bzw. psychische Gesundheit als wichtige Voraussetzung von Resilienz und Belastbarkeit, bei der Bewältigung von Krisen mit in den Fokus gerückt werden“ so Kammerpräsident Dr. Dietrich Munz. Dabei gehe es sowohl um Möglichkeiten der psychosozialen Prävention als auch um die Verbesserung der ambulanten und stationären Versorgung von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, so Dr. Munz weiter. Die LPK-Stellungnahme finden Sie hier.

Gesundheitsminister Manfred Lucha rief in seinem Grußwort alle relevanten Akteur*innen aus dem Gesundheitswesen zu Geschlossenheit auf, um die bestehenden Probleme in den Griff zu bekommen.

Prof. Dr. Tom Bschor, Leiter und Koordinator der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung des Bundesministeriums für Gesundheit, sowie Prof. Dr. Henriette Neumeyer, stv. Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft gaben einen Überblick zur Situation in den Kliniken, der angekündigten Krankenhausreform und den Rückwirkungen auf die Versorgungslandschaft. Prof. Dr. Doris Schaeffer, Uni Bielefeld berichtete Ergebnisse aus mehreren der von ihrem Institut durchgeführten repräsentativen Studien zur Gesundheitskompetenz der Bevölkerung und damit der Bedeutung der Patientenperspektive für die Nutzung von Gesundheitsleistungen. Ergänzt wurde das Thema Gesundheitskompetenz durch ein weiteres Impulsreferat von Prof. Dr. med. Mark Dominik Alscher, Medizinischer Geschäftsführer des Robert-Bosch-Krankenhauses Stuttgart zur Förderung der Digital Health Literacy, d.h. digitalen Gesundheitskompetenz bei Patienten und Bürgern. In der anschließenden Diskussion, an der neben den Referenten auch Cornelia Tausch, Vorstandsvorsitzende der Verbraucherzentrale BW, Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK BW und Dr. Karsten Braun, Vorstandsvorsitzender der KV BW teilnahmen, wurde der Stand und Perspektiven zur Gesundheitskompetenz diskutiert.

Am Nachmittag wurde in kleineren Runden, sog. „World-Cafes“ auf einzelne Themenbereiche fokussiert und v.a. Lösungsvorschläge dazu erarbeitet und vorgestellt, u.a. zum Dreiklang „Reagieren, Bewältigen, Vorbeugen von Krisen“, zur Krisenbewältigung im ambulanten Sektor oder zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit.

Mehr Informationen zum Landeskongress Gesundheit 2023 unter http://www.lk-gesundheit.de.

Psychisch kranke Menschen nicht gegeneinander ausspielen!

Offener Brief der BPtK an Bundesgesundheitsminister Lauterbach

(BPtK) In einem Offenen Brief fordert die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach auf, sich in der Diskussion um die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen an der Evidenz und der realen Versorgungssituation zu orientieren – und nicht Behauptungen aufzustellen, die unhaltbar sind. „Die Behauptung des Ministers, dass in der ambulanten Psychotherapie vor allem ‚leichte Fälle‘ versorgt werden, ist eine Unterstellung, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrt“, sagt Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer.

Am 8. Februar 2023 hatte Bundesgesundheitsminister Lauterbach sich anlässlich der Vorstellung des Abschlussberichts der Interministeriellen Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona“ (IMA) geäußert, zusätzliche Kassensitze für Psychotherapie zu schaffen, sei nicht sinnvoll, weil diese dann lieber „leichte Fälle über längere Zeit“ behandeln wollten.

„Ihre Aussage kommt einem Schlag ins Gesicht aller Patient*innen gleich, die Hilfe bei einer Psychotherapeut*in suchen“, heißt es im dem Offenen Brief. Und weiter: „Für viele Patient*innen ist es immer noch ein schwerer Schritt, sich wegen ihrer psychischen Erkrankung professionelle Hilfe zu suchen. Es ist völlig inakzeptabel, Patient*innen gegeneinander auszuspielen und zu suggerieren, dass einige Patient*innen den Therapieplatz für andere räumen sollten.“

„Es ist verheerend, wenn der Bundesgesundheitsminister an Patient*innen das Signal sendet, sich erst dann psychotherapeutische Hilfe holen zu dürfen, wenn sie besonders schwer erkrankt sind“, kritisiert BPtK-Präsident, Dr. Dietrich Munz. „Eine solche Perspektive ist zutiefst unethisch, aber auch medizinisch und gesundheitsökonomisch völlig widersinnig! Wir fordern Sie deshalb auf, die Versorgung von allen Patient*innen mit psychischen Erkrankungen in den Blick zu nehmen und ein Ausspielen der einzelnen Patientengruppen zu unterlassen.“

Im Offenen Brief widerlegt die BPtK die Behauptungen des Ministers. Sie führt hierzu Studien und Analysen auf der Grundlage von repräsentativen Versorgungsdaten an und bittet den Minister um eine evidenzorientierte Diskussion zur Verbesserung der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung.

„Das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel, die langen Wartezeiten auf einen psychotherapeutischen Behandlungsplatz zu reduzieren, muss endlich umgesetzt werden“, fordert die BPtK. Die Vorschläge des Ministers, die fehlenden psychotherapeutischen Behandlungskapazitäten allein über Sonderbedarfszulassungen und Ermächtigungen lösen zu wollen, wirkten weder schnell noch flächendeckend.

Lange Wartezeiten auf eine Psychotherapie in ländlichen Regionen Bayerns

BPtK fordert zusätzliche Psychotherapeutensitze

(BPtK) Auch in Bayern beträgt die durchschnittliche Wartezeit von der ersten Sprechstunde bis zum Beginn einer Richtlinienpsychotherapie knapp 20 Wochen (139 Tage). Die aktuellen Daten bestätigen damit die Analysen der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) auf Basis der KBV-Abrechnungsdaten von 2019. Die Hälfte der Patient*innen in Bayern wartet nach ihrem ersten Sprechstundenkontakt länger als 13,9 Wochen (Median der Wartezeit = 97 Tage) auf den Beginn der psychotherapeutischen Behandlung. Das ist eines der zentralen Ergebnisse einer aktuellen Analyse der Wartezeiten in der ambulanten Psychotherapie der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns.

Die Studie zeigt auch, dass insbesondere psychotherapiebedürftige Kinder und alte Menschen in Bayern besonders lange warten müssen. So muss die Hälfte der Kinder im Alter von 10 Jahren sowie der Erwachsenen im Alter von 64 Jahren länger als 115 Tage auf den Beginn einer Psychotherapie warten. Besonders lang waren die Wartezeiten auch in ländlicheren Regionen Bayerns. Der Median der Wartezeiten liegt in den ländlichen Kreisen im Nordosten Bayerns etwa 50 Tage über dem in München. Wenn Patient*innen mehr als eine Psychotherapeut*in aufsuchen müssen, um einen Therapieplatz zu erhalten, fallen die Wartezeiten mit einem Median von 178 Tage mehr als doppelt so lang aus wie bei Patient*innen, bei denen die erste Sprechstunde und Psychotherapie bei derselben Psychotherapeut*in erfolgen konnte (Median von 85 Tagen). Aufgrund der Methodik der Studie nicht erfasst sind die Wartezeit auf die erste Sprechstunde und die Personen, die nach einer Sprechstunde keinen Therapieplatz gefunden haben und unversorgt bleiben.

„Die langen Wartezeiten auf eine Psychotherapie in den ländlichen Regionen Bayerns für Kinder und für alte Menschen stehen stellvertretend für die unzureichende Versorgungssituation in der gesamten Bundesrepublik“, erläutert BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz. „Es müssen dringend zusätzliche Psychotherapeutensitze geschaffen werden, um die Wartezeiten für Patient*innen spürbar zu reduzieren.“ Die Ampel-Koalition hat im Koalitionsvertrag vereinbart, die psychotherapeutische Bedarfsplanung zu reformieren, um Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz, insbesondere für Kinder und Jugendliche, aber auch in ländlichen und strukturschwachen Gebieten, deutlich zu reduzieren. Um dieses Ziel umzusetzen, hält die BPtK eine grundlegende Reform der psychotherapeutischen Bedarfsplanung für notwendig. Ein wichtiger Schritt ist die Absenkung der allgemeinen Verhältniszahlen für die Arztgruppe der Psychotherapeuten. Dadurch würden zusätzliche Kassensitze insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen entstehen. Außerdem sollten Psychotherapeut*innen, die ausschließlich Kinder und Jugendliche behandeln, in einer eigenen Arztgruppe geplant werden, damit das Versorgungsangebot für psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche gezielt weiterentwickelt werden kann.

Minister Lauterbach verkennt Situation psychisch kranker Kinder

BPtK fordert nachhaltige Reform der Bedarfsplanung

(BPtK) Kopfschütteln über die Äußerungen des Bundesgesundheitsministers bei der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK): Bei der Vorstellung des Abschlussberichtes der Interministeriellen Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona“ (IMA) äußerte Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach, nur mehr Behandlungskapazitäten für schwer psychisch kranke Kinder schaffen zu wollen. Von der im Koalitionsvertrag angekündigten Reform der Bedarfsplanung war keine Rede.

„Die Praxen unserer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen sind seit Langem überlaufen. Die aktuellen Krisen haben die schlechte Ausgangslage dramatisch verschärft. Kinder und Jugendliche warten monatelang auf einen psychotherapeutischen Behandlungsplatz oder finden gar keine Versorgung, obwohl die bestehenden Praxen während der Pandemie schon ihre Versorgungsleistung erhöht haben“, sagt Cornelia Metge, Vorstandsmitglied der BPtK und niedergelassene Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Blieben psychische Erkrankungen zu lange unbehandelt, gefährde dies die Schulfähigkeit, erhöhe das Risiko für Chronifizierung und beeinträchtige die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, so Metge. „Es gibt keine vermeintlich leichten Fälle, die Platz machen könnten. Die Kinder und Jugendlichen, die wir tagtäglich sehen, sind alle psychisch schwer beeinträchtigt. Hier vermeintlich ‚schwerere‘ Fälle gegen ‚leichtere‘ ausspielen zu wollen, verkennt, dass gerade Kinder und Jugendliche frühzeitig behandelt werden müssen, um schwere Langzeitfolgen und gebrochene Biografien zu verhindern.“

Wiederholt setze das Bundesgesundheitsministerium (BMG) allein auf Maßnahmen wie Sonderbedarfszulassungen und Gruppentherapien und verschließe somit weiterhin die Augen vor der bitteren Realität: „Schon vor der Corona-Pandemie mussten psychisch kranke Menschen allen Alters vielerorts monatelang auf einen psychotherapeutischen Behandlungsplatz warten. Wir brauchen eine echte Stärkung der Versorgung psychisch kranker Menschen und keine rein kosmetischen Maßnahmen. Insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen müssen mehr Kassensitze zugelassen werden. Das BMG muss den Koalitionsvertrag endlich umsetzen und eine echte Reform der Bedarfsplanung im Interesse der Patient*innen angehen“, fordert deshalb BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz. Die Ampel-Koalition hat im Koalitionsvertrag vereinbart, die psychotherapeutische Bedarfsplanung zu reformieren, um Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz, insbesondere für Kinder und Jugendliche, aber auch in ländlichen und strukturschwachen Gebieten deutlich zu reduzieren.

„Das BMG ignoriert damit die Ziele des Koalitionsvertrages und blendet zudem die Faktenlage aus“, so Munz. Denn mehrere Studien und Untersuchungen, die im Abschlussbericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona“ zusammengefasst sind, stellen den dringenden Handlungsbedarf in der Versorgung von psychisch kranken Kindern und Jugendlichen heraus. Des Weiteren zeigt eine aktuelle Auswertung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns

Psychisch Kranke warten 142 Tage auf eine Psychotherapie

BPtK zur Befragung des GKV-Spitzenverbandes

(BPtK) Lange Wartezeiten auf den Beginn einer Psychotherapie sind für viele Patient*innen eine tagtägliche Realität. Die durchschnittliche Wartezeit vom Erstgespräch bis zum Therapiebeginn beträgt durchschnittlich 142,4 Tage. Das zeigen die objektiven Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zu allen gesetzlich Krankenversicherten, die im 1. Quartal 2019 ihr Erstgespräch erhalten haben. Vierzig Prozent der Patient*innen, die im 1. Quartal ihr Erstgespräch hatten, konnten ihre Therapie frühestens im 3. Quartal 2019 beginnen, mehr als 10 Prozent sogar erst ein ganzes Jahr später (siehe Abbildung). „Die Daten des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV) sind schlichtweg falsch“, kritisiert Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK).

„Die Zeit vom Erstgespräch bis zum Therapiebeginn kann schon theoretisch nicht nur wenige Tage betragen, wie der GKV-SV behauptet“, erläutert BPtK-Präsident Munz. Durchschnittlich werden mit einer Patient*in zwei Sprechstundentermine durchgeführt, danach folgen mindestens zwei probatorische Sitzungen mit der Patient*in, ehe nach Antragstellung und Genehmigung durch die Krankenkasse eine Therapie begonnen werden kann. Bei Anträgen auf Kurzzeittherapie müssen die Krankenkassen innerhalb von drei Wochen über die Bewilligung entscheiden, bei der Langzeittherapie haben sie sogar bis zu fünf Wochen Zeit. „Der GKV-SV veröffentlicht hier Daten, von denen er wissen muss, dass sie nicht stimmen können“, stellt Munz fest.

Darüber hinaus ist die Datenbasis der Krankenkassen-Befragung viel zu klein. Weniger als ein Prozent der gesetzlich Krankenversicherten beginnt innerhalb eines Jahres eine psychotherapeutische Behandlung. Bei einer repräsentativen Befragung von 2.240 gesetzlich Versicherten wäre das lediglich bis zu 20 Patient*innen, die im letzten Jahr eine Psychotherapie begonnen haben. Eine solche Datenbasis erlaubt keine verlässlichen Aussagen.

Auch an anderen Stellen wird deutlich, dass es dem GKV-SV um Desinformation geht. So warten angeblich knapp 80 Prozent der Patient*innen, die eine Behandlung erhalten haben, weniger als vier Wochen auf ihr Erstgespräch. Um zu diesem Ergebnis zu kommen, hat der GKV-SV aber die Zeit von der Terminvereinbarung bis zum Erstgespräch erheben lassen. Die lange Wartezeit der Patient*innen liegt jedoch schon vor der Terminvereinbarung. Die entscheidende Frage lautete: Wie lange dauert es von der ersten Anfrage bei einer Psychotherapeut*in bis zum ersten Gespräch in der Sprechstunde? Weil Psychotherapeut*innen häufig für längere Zeit keinen freien Therapieplatz haben, arbeiten sie mit Wartelisten. Wenn nach Monaten ein Therapieplatz frei wird, die Patient*innen auf der Liste nach oben gerutscht sind, meldet sich die Psychotherapeut*in bei der Patient*in, um einen Termin für ein Erstgespräch auszumachen. Dann beträgt der Zeitraum zwischen Terminvereinbarung und Erstgespräch vielleicht nur Tage, die reale Wartezeit aber mehrere Wochen.

Klimakrise und Weiterbildung

41. Deutscher Psychotherapeutentag in Berlin

(BPtK) Der 41. Deutsche Psychotherapeutentag (DPT) tagte am 18. und 19. November 2022 in Berlin. Sein Hauptthema war die Klimakrise, „weil diese die Psychotherapeut*innen als Bürger*innen, in ihrer Berufsausübung und als Profession beschäftigen muss“, wie die Versammlungsleiterin Birgit Gorgas feststellte. Weiteres Thema war die Umsetzung der Weiterbildung, deren ausreichende Finanzierung der DPT dringend forderte.

Depressive Menschen lange ohne Behandlung

Deutschland-Barometer Depression 2022 veröffentlicht

(BPtK) Rund 20 Monate dauert es im Schnitt, bevor sich Menschen mit einer depressiven Erkrankung Hilfe suchen. Das hat eine repräsentative Befragung der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention ergeben. In der mittlerweile sechsten Erhebung des Deutschland-Barometer Depression wurden über 5.000 Erwachsene zu ihren Einstellungen und Erfahrungen zur Depression befragt.

In der Hälfte der Fälle war die Hausärzt*in die erste Anlaufstelle der Patient*innen. Jede Vierte* suchte direkt eine Fachärzt*in auf. Rund jede fünfte Befragte* mit diagnostizierter Depression wandte sich unmittelbar an eine Psychotherapeut*in. Nur sehr wenige (0,3 Prozent) nahmen mit den Termin-Servicestellen der Kassenärztlichen Vereinigung Kontakt auf – in zwei von drei Fällen wurde vom Patientenservice dann auch eine Therapie vermittelt.

Es gab große Unterschiede, wie lange depressive Menschen ohne Behandlung und auf sich allein gestellt waren. Ein Drittel der Befragten mit diagnostizierter Depression kümmerte sich sofort um Hilfe. Zwei Drittel gaben allerdings an, dass es sehr lange gedauert habe – im Schnitt rund 30 Monate. Befragte berichteten von wochenlangen Wartezeiten auf eine Behandlung. Auf die Behandlung bei einer Fachärzt*in warteten sie rund acht Wochen, auf die Behandlung bei einer Psychotherapeut*in zehn Wochen. Im Durchschnitt hätten sie fünf Therapeut*innen kontaktieren müssen, um einen Behandlungsplatz zu finden. Die Hälfte der Befragten berichtete, dass sie Kompromisse machen musste, um überhaupt einen Therapieplatz zu bekommen.

„Auch die neue Nationale Versorgungsleitlinie Depression betont, dass Psychotherapie eine der Grundsäulen bei der Behandlung von Depressionen ist. Dass 85 Prozent der befragten Patient*innen mit Depression Psychotherapie als hilfreich oder eher hilfreich empfinden, zeigt nur, wie wichtig die psychotherapeutische Behandlung für die Betroffenen ist“, so Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). „Dass mitunter Jahre vergehen, bevor Betroffene wirksame Hilfe erhalten, ist erschreckend und inakzeptabel.“

Abbau der Wartezeiten in der Psychotherapie notwendig

Länder fordern gesetzliche Regelungen durch das BMG

(BPtK) Die Regierungschef*innen der Länder haben auf ihrer Jahrestagung aktuelle gesellschaftliche Probleme und Herausforderungen in den Blick genommen. Einer der sechs gefassten Beschlüsse betrifft die psychotherapeutische Versorgung insbesondere von Kindern und Jugendlichen. Die Länder fordern, schnelle gesetzliche Regelungen zu schaffen, um die zu langen Wartezeiten auf eine ambulante psychotherapeutische Behandlung kurzfristig zu reduzieren und die erheblichen Versorgungsunterschiede zwischen städtischen und ländlichen Regionen abzubauen. Hierbei betonen die Länder, dass sich die langen Wartezeiten auf eine psychotherapeutische Behandlung besonders stark auf psychisch kranke Kinder und Jugendliche auswirken, weshalb weitreichende negative Folgen für ihre schulische und berufliche Entwicklung zu erwarten sind. Die Versorgungsbedarfe von Kindern und Jugendlichen haben sich insbesondere durch die psychischen Belastungen infolge der Corona-Pandemie noch einmal verschärft.

„Wir freuen uns über das Engagement der Ministerpräsident*innen der Länder für eine bessere Versorgung psychisch erkrankter Menschen. Es ist an der Zeit, die im Koalitionsvertrag angekündigte Reform der Bedarfsplanung im Bereich der Psychotherapie endlich auf den Weg zu bringen“, fordert BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz. Ziel sollte es sein, mehr Psychotherapeutensitze in ländlichen und strukturschwachen Regionen – für Kinder und Jugendliche ebenso wie für Erwachsene – zu schaffen und so die aktuelle Unterversorgung abzubauen.