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Arme Kinder durch Coronakrise gesundheitlich gefährdet

BPtK fordert Essen auf Rädern und Hartz-IV-Krisenzuschlag

(BPtK) Fast zwei Millionen Kinder leben in Familien, die Grundsicherung erhalten. Etwa jede fünfte armutsgefährdete Person und ihre Kinder leben in überbelegten Wohnungen. Kinder haben häufig kein eigenes Zimmer und keinen Rückzugsraum. „Finanzielle Sorgen und beengte Lebensverhältnisse lassen Konflikte schneller eskalieren, manchmal sogar bis hin zu Gewalt“, stellt Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), fest. „Die Coronakrise gefährdet insbesondere die Gesundheit von Kindern aus Familien mit geringen Einkommen. Ihnen fehlt das warme Mittagessen, das sie sonst in Kita oder Schule erhalten. Sie haben nicht die Computer- und Internetausstattung, um online Schulaufgaben erledigen zu können.“

Die BPtK fordert deshalb:

  • Essen auf Rädern für Kinder aus armen Familien: Eltern, die Grundsicherung beziehen, sollten daher unbürokratisch Essen auf Rädern beantragen können, damit ihre Kinder ein warmes Mittagessen erhalten.
  • Krisenzuschlag für Hartz-IV-Familien: Kinder haben ein Recht auf Bildung. Eltern, die sich die Grundausstattung für digitales Lernen nicht leisten können, sollten schnell und unbürokratisch einen Krisenzuschlag für Internetanschluss und Tablet erhalten.

Manche Kinder brauchen während der Coronakrise Ansprechpartner*innen, wenn sie nicht mehr weiterwissen. Die bundesweit größte und kostenlose telefonische und Online-Beratung für Kinder, Jugendliche und auch Eltern ist die Initiative „Nummer gegen Kummer“ (116 111). Die Hotline verfügt auch über ein Elterntelefon (0800 1110 550). Viele Familienberatungen in Städten und Kreisen bieten vor Ort weiter ihre telefonische und Videoberatung an. Jugendliche können sich auch über die BPtK-Internetseite www.gefuehle-fetzen.net über psychische Krisen und Hilfsangebote informieren. Auch die Praxen von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen sind weiter für Kinder, Jugendliche und Eltern erreichbar.

„Der Schutzraum der Praxis fehlt“

BPtK-Reader: Erfahrungen von Psychotherapeut*innen in der Coronakrise

(BPtK) Die Coronakrise hat auch die psychotherapeutische Beratung und Behandlung erheblich verändert. Hygieneregeln hielten Einzug in die psychotherapeutische Praxis, Patient*innen in Quarantäne mussten per Videogespräch versorgt werden, tagesklinische Angebote fielen weg. Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) hat diese Entwicklung von Anfang an begleitet und die Erfahrungen mit Psychotherapie im Ausnahmezustand dokumentiert. Die ersten zehn Erfahrungsberichte von Psychotherapeut*innen hat die BPtK jetzt in einem Reader zusammengefasst.

Kostenfreies Telefon-Hilfsangebot für Pflegende

Kooperation der BPtK mit dem Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK)

(LPK BW) Beruflich Pflegende sind während der aktuellen Corona-Pandemie vielfach ganz besonderen psychischen Belastungen ausgesetzt. Dies betrifft unter anderem Pflegende, die in der stationären Versorgung von COVID-19-Patient*innen oder auch in Altenpflegeheimen tätig sind. Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) und der Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) haben deshalb unter der Schirmherrschaft des Deutschen Pflegerates (DPR) und der Arbeitsgemeinschaft der Pflegekammern – Bundespflegekammer nach Initiative des DBfK eine Terminvermittlungsplattform für telefonische Beratungstermine aufgebaut, um beruflich Pflegenden in der Coronakrise ein professionelles und niedrigschwelliges Hilfsangebot zur Verfügung stellen.

Das Hilfsangebot: Über einen Online-Ressourcenkalender können approbierte Psychotherapeut*innen ca. 30-minütige Telefonberatungstermine für beruflich Pflegende anbieten. Mit Ihrer Unterstützung werden hilfesuchende Pflegefachpersonen über diesen Kalender ab Mitte Mai 2020 unentgeltlich telefonische Beratungstermine bei Psychotherapeut*innen in Anspruch nehmen können. Dieses psychotherapeutische Hilfsangebot für beruflich Pflegende wird während der Coronakrise bis zum Ausklingen des akuten Bedarfs vom DBfK online verwaltet und kostenfrei zur Verfügung gestellt. In welchem Umfang und zu welchen Zeiten Sie sich hierfür ehrenamtlich engagieren, können Sie selbst steuern. Über die Plattform sollen telefonische Beratungstermine für Pflegende vermittelt werden, eine psychotherapeutische Behandlung per Telefon ist nicht vorgesehen. Sollte eine psychotherapeutische Behandlung nach Ihrer Einschätzung erforderlich sein, können Sie die Pflegende* dabei unterstützen, eine entsprechende Behandlung in der Regelversorgung in Anspruch zu nehmen.

In drei Schritten zur Teilnahme:

  1. Registrierung per Formular: https://www.dbfk.de/de/corona-hilfe/index.php
  2. Sie erhalten innerhalb weniger Tage eine E-Mail mit den Zugangsdaten zu Ihrem bereits von uns eingerichteten und für Sie kostenfreien Ressourcenkalender in Terminland.
  3. Sie pflegen Ihre verfügbaren Zeiten und die Sichtbarkeit Ihrer Informationen in Terminland selbst ein und können diese dort jederzeit ändern.

Die eingetragenen Daten werden an nordwest@dbfk.de weitergeleitet und vom DBfK zur Eröffnung von Terminplänen der einzelnen Psychotherapeut*innen in Zusammenarbeit mit terminland.de genutzt. Die Eingabe von freien Terminen ab dem 18. Mai 2020 können Sie selbst durchführen oder sich bei Bedarf dabei durch die Geschäftsstelle des DBfK unterstützen lassen.

Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie Interesse haben, sich an dem psychotherapeutischen Unterstützungsangebot für Pflegende zu beteiligen.

Krisen-Hotlines und zentraler Terminservice

BPtK-Wegweiser für psychisch kranke Menschen in der Coronakrise

(BPtK) Psychisch kranke Menschen können in vielen Bundesländern spezielle Video- und Corona-Sprechstunden nutzen, um sich psychotherapeutisch beraten und behandeln zu lassen. Für Termine können sie sich an die bundesweite Hotline 116 117 wenden. Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg sowie Thüringen bieten zudem eine besondere Krisen-Hotline per Telefon oder Video während der Corona-Pandemie an. „Während der Coronakrise können sich insbesondere Depressionen und Angststörungen entwickeln und verschlimmern“, erklärt Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). Die BPtK hat deshalb die verschiedenen Angebote an psychotherapeutischer Beratung und Behandlung in einem „Wegweiser für psychisch kranke Menschen in der Coronakrise“ nach Bundesländern zusammengefasst.

  • Das Angebot der Praxen: Eine psychotherapeutische Beratung und Behandlung kann grundsätzlich auch weiter in den psychotherapeutischen Praxen stattfinden, trotz Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverboten. Die Behandlung einer psychischen Erkrankung gehört zur medizinisch dringend notwendigen Versorgung. Patient*innen können deshalb weiter Termine für eine Behandlung von Angesicht zu Angesicht machen oder bestehende Termine wahrnehmen, wenn sie keine Erkältungssymptome und sich nicht mit dem Coronavirus angesteckt haben. Die Praxen halten alle Hygienestandards ein, die dafür notwendig sind. Wem es nicht möglich ist, in die Praxis zu kommen, kann eine Behandlung per Video oder, wenn das nicht möglich ist, per Telefon angeboten werden.
  • Die psychotherapeutische Sprechstunde: Wer erstmals aufgrund psychischer Beschwerden Hilfe bei einer Psychotherapeut*in sucht, muss zunächst in die psychotherapeutische Sprechstunde. Diese kann in der Praxis oder per Videogespräch erfolgen. Die Psychotherapeut*in muss die Patient*in weiterhin zur Diagnostik sehen. Eine rein telefonische Beratung, ob eine Behandlung notwendig ist, ist nicht möglich.
  • Direkte Kontaktaufnahme in der Praxis: Um einen ersten Termin bei einer Psychotherapeut*in zu bekommen, können Patient*innen direkt in deren Praxis anrufen. Die Sprechzeiten, zu denen die Praxis telefonisch erreichbar ist, findet man auf der Internetseite der Praxis oder sie werden auf dem Anrufbeantworter angesagt.
  • Bundesweiter Terminservice: Wenn die gewünschten Praxen über keinen freien Termin verfügen, können sich Patient*innen auch direkt einen Termin über den Terminservice der Kassenärztlichen Vereinigung vermitteln lassen, der unter der bundesweiten Hotline 116 117 zu erreichen ist.
  • eTerminservice: In vielen Bundesländern bietet der Terminservice der Kassenärztlichen Vereinigungen auch die Möglichkeit, direkt bei Psychotherapeut*innen Video- oder Corona-Sprechstunden online zu buchen.
  • Spezielle Krisen-Hotline per Telefon oder Video: Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg und Thüringen bieten während der Corona-Pandemie sogar spezielle Krisen-Hotlines per Telefon oder Video an. Für spezielle besonders belastete Personen, wie z. B. medizinisches Personal, gibt es darüber hinaus unterschiedliche bundesweite und landesspezifische Angebote zur telefonischen Beratung.
  • Hilfe für Familien: Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen in Praxen und Beratungsstellen bieten ihre Hilfe, insbesondere bei psychischen Krisen und eskalierenden Konflikten in Familien, an.

Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Personen mit und ohne psychischen Erkrankungen

Online-Studie der Universität Osnabrück – Bitte um Teilnahme

(LPK BW) Die aktuelle Corona-Pandemie ist derzeit allgegenwärtig und stellt eine Herausforderung in einem nie dagewesenen Ausmaß für die gesamte Bevölkerung dar. Um die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Personen mit und ohne psychische Erkrankungen zu untersuchen, werden Teilnehmerinnen und Teilnehmer für eine Online-Studie gesucht. In der 20-30-minütigen Online-Studie werden diese gebeten, Fragen bezüglich ihrer Erkrankung sowie allgemeinere Fragen bezogen auf das Corona-Virus zu beantworten. Auch Personen ohne eine psychische Erkrankung können teilnehmen.

Zum Onlinefragebogen gehts hier

„Alter ist kein Kriterium für Rationierung!“

Erfahrungsbericht 10: Prof. Eva-Marie Kessler über die Versorgung älterer Menschen

(BPtK) Darüber kann sie sich richtig aufregen. Darüber, wie jetzt in der Öffentlichkeit über ältere Menschen geredet wird. Viele von ihnen sind durch das Virus besonders gefährdet, weil ihr Immunsystem nicht mehr so stark ist oder weil sie bereits chronisch und mehrfach erkrankt sind. Aber als ob das nicht schon reicht, wird in der Öffentlichkeit jetzt diskutiert, ob das Alter ein Kriterium ist, nach dem an Coronakranke noch medizinische Hilfe verteilt werden soll. „Alter ist kein Kriterium für Rationierung!“, stellt Professorin Eva-Marie Kessler fest. In Großbritannien werden an knappe Beatmungsgeräte allerdings schon vor allem Jüngere angeschlossen. „Manche alte Menschen fühlen sich dadurch an gar nicht so gute alte Zeiten erinnert, als von ‚unwertem Leben‘ gesprochen wurde.“

„Wir müssen als Psychotherapeut*innen zeigen, dass wir für besonders gefährdete Personen da sind“, fordert die Professorin für Gerontopsychologie an der Medical School Berlin. „Viel drängender als bei Jüngeren stellt sich bei älteren Menschen zudem die Frage, wie wir überhaupt noch Wege finden, dass sie unsere Hilfe erreicht.“ Immer wieder hört Eva-Marie Kessler jetzt von Patient*innen: „Gut, dass ich noch den Termin mit Ihnen habe. Der Pflegedienst kommt ja schon nicht mehr. Ich traue mich aber nicht raus, weil ich Angst vor dem Virus habe. Mein Hausarzt hat auch seine Hausbesuche eingestellt.“

Ältere Menschen sind aufgrund der Coronakrise noch stärker isoliert als in normalen Zeiten. Manche kommen damit durchaus zurecht. Sie sind seit Jahren sehr an die Häuslichkeit gewohnt und können sich gut zurückziehen. Für sie sind die ersten Wochen der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen gar nicht so anders gewesen. Die Tochter hat den Einkauf übernommen und damit war die Welt soweit in Ordnung. Andere haben bereits sehr viel erlebt und sind dadurch gestärkt und stabil. „Das wird auch vorübergehen“, sagen sie zuversichtlich und nutzen all ihre Kräfte, damit dies auch gelingt. Bei wieder anderen wecken die Warteschlangen allerdings ganz andere Erinnerungen. Erinnerungen an Krieg und Bomben. Diese traumatischen Erlebnisse prägen jetzt wieder ihr Erleben der allgegenwärtigen Ansteckungsgefahr. Bei vielen, die 75 Jahre und älter sind, wird aus der Angst sich anzustecken nicht selten Todesangst und aus Rückzug totale Isolation. Am Ende quälen sie sich mit der Erwartung, wegen Corona allein zu sterben.

„Ältere Menschen sind schon normalerweise psychotherapeutisch ausgesprochen schlecht versorgt“, kritisiert Psychotherapeutin Eva-Marie Kessler. Bei den Über-75-Jährigen mit einer depressiven Erkrankung erhält nicht einmal ein Prozent eine ambulante Psychotherapie.“ Die Gerontopsychologin setzt sich deshalb schon seit Längerem für mehr Hausbesuche durch Psychotherapeut*innen ein. „Wir müssen flexibler werden“, mahnt sie ihre eigene Profession. „Aber wie sollen wir jetzt Hausbesuche machen, wo es an Schutzkleidung mangelt?“ Und damit steht sie wie viele ihrer Kolleg*innen vor der grundsätzlichen Frage: „Wie ist Hilfe für ältere Menschen überhaupt noch möglich?“

Dass inzwischen eine telefonische Beratung und Behandlung möglich sind, war ein ganz entscheidender Schritt in die richtige Richtung. Kontakt und Gespräch sind so wieder möglich. Doch bisher ist die Telefonbehandlung auf Patient*innen eingeschränkt, die bereits bei einer Psychotherapeut*in in Behandlung sind. Alle anderen sind ausgegrenzt. Wer neu erkrankt, bleibt unerreichbar und unbehandelbar. Denn mit Videotelefonaten, die bei allen Patient*innen eingesetzt werden können, kommen viele ältere Menschen nicht zurecht. Sicher, es gibt die jungen Alten, die mit Smartphone und Laptop vertraut sind und mit denen Psychotherapie auch per Bildschirm möglich ist. Aber es gibt auch die alten Alten, die manchmal motorisch kaum in der Lage sind, den Telefonhörer zu halten, die kognitive Einschränkungen haben, die blind sind. „Für die Mehrheit der Über-70-Jährigen ist nach meinen Erfahrungen die Behandlung per Videotelefonat deshalb nicht das richtige Mittel, weil keine entsprechende Technik – WLAN, Webcam – zur Verfügung steht.“, stellt Eva-Marie Kessler fest. „Ohne Telefon ist die Tür zur psychotherapeutischen Versorgung verschlossen.“

Selbst da, wo die Behandlung per Telefon möglich ist, reicht die Zeit, die dafür zur Verfügung steht, nicht aus. Mehr als 20 Telefonate à 10 Minuten im Vierteljahr sind nicht drin. „Das reicht für die Behandlung einer schwer depressiven Patient*in gerade in der jetzigen Situation hinten und vorne nicht aus“, kritisiert Eva-Marie Kessler. Angst und depressive Niedergeschlagenheit sind aber die häufigsten Reaktionen von älteren Menschen auf die Ansteckungsgefahr und häusliche Isolation.

Die Coronakrise erhöht auch den Aufwand an Gesprächen mit anderen, die sich um ältere Menschen kümmern. Mehr als normal sind koordinative Leistungen gefordert: Gespräche mit den Angehörigen, dem Pflegedienst, den Hausärzt*innen. „In der Not müssen wir vor allem individuelle Lösungen finden, wie wir älteren Menschen weiter helfen können“, erklärt die Psychotherapeutin. „Und dafür brauchen wir – noch mehr als sonst – Zeit!“

Land richtet Hotline für Menschen mit psychischen Belastungen ein

Nummer 0800 377 377 6 ab sofort freigeschalten

(LPK BW) Die Corona-Pandemie ist für viele Menschen im Land eine große psychische Belastung. Zu eingeschränkten sozialen Kontakten und möglichen Konflikten zu Hause kommen häufig Fragen, wie es mit dem eigenen Job und der Familie weitergeht. „Mit dieser Situation lassen wir die betroffenen Menschen im Land nicht allein – und bieten ihnen professionelle Hilfe und Unterstützung“, so Gesundheitsminister Manne Lucha am Mittwoch (22. April) in Stuttgart. Gemeinsam mit dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, der Landesärztekammer, der Landespsychotherapeutenkammer und der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg hat das Land eine Hotline zur psychosozialen Beratung eingerichtet. Die kostenfreie Nummer 0800 377 377 6 ist ab sofort freigeschalten. Expertinnen und Experten stehen dort täglich von 8 bis 20 Uhr zur Verfügung.

„Alle psychisch kranken Menschen müssen Hilfe erhalten können“

Interview der Ärzte Zeitung mit BPtK-Präsident Munz

(BPtK) Ärzte Zeitung: Telefonische Erstbehandlungen von Hilfesuchenden werden Psychotherapeuten nicht bezahlt. Sie sind eigentlich sogar laut Berufsordnung unzulässig. Warum wollen Sie diese Regel knacken?

Dr. Dietrich Munz: Alle psychisch kranken Menschen müssen Hilfe erhalten können. Wenn es auf Grund der Corona-Pandemie nicht möglich ist, einen ersten Kontakt persönlich oder per Video herzustellen, muss ausnahmsweise auch ein telefonisches Gespräch möglich sein. Die psychotherapeutische Versorgung darf nicht systematisch Patientengruppen ausschließen. Deshalb muss es eine telefonische Beratung und Behandlung für Neuerkrankte geben können. Dies ist umso notwendiger, weil viele andere Hilfsangebote wie zum Beispiel tagesklinische Behandlungen und Angebote von Beratungsstellen derzeit wegfallen.

Sie haben sich per Brief an Gesundheitsminister Jens Spahn gewandt. Was hat er Ihnen in Aussicht gestellt?

Munz: Bisher haben wir auf unsere Anfrage noch keine Rückmeldung. Wir hoffen aber auf seine Unterstützung. Unser Eindruck ist das er die erheblichen psychischen Belastungen, die mit der Pandemie verbunden sind, sehr deutlich sieht.

KBV-Chef Gassen hält telefonische Erstbehandlungen für nicht hilfreich. Warum können Sie ihn nicht vom Sinn einer solchen Regelung überzeugen?

Munz: Wir hoffen, dass er noch einmal darüber nachdenkt, dass Neuerkrankte nicht systematisch von professioneller Hilfe ausgeschlossen werden dürfen. Insbesondere ältere Menschen verfügen oft nicht über die technischen Voraussetzungen, per Videotelefonat behandelt zu werden. Darunter sind eine große Zahl dementer Menschen, aber auch Menschen mit starken körperlichen Einschränkungen.

Anderseits sind zum Beispiel Über-70-Jährige bisher so gut wie nicht in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung. Nicht wenige erleben aufgrund ihrer chronischen und vielfachen Erkrankungen die allgegenwärtige Ansteckungsgefahr jedoch mit Todesangst. Dies verschlimmert ihre ohnehin schon häufigen depressiven Symptome. Der grundlegende Ausschluss einer besonders gefährdeten Personengruppe in dieser Notlage ist unverantwortlich. Dabei sehen wir telefonische Erstkontakte selbst sehr kritisch. Sie sind in normalen Zeiten nach unserer Berufsordnung sogar untersagt. Aber im Moment ist alles anders. Unsere Patienten brauchen uns und wir stellen uns in dieser Krisensituation der Herausforderung.

Wie viele Menschen haben vor dem Ausbruch der Coronakrise telefonisch bei Psychotherapeuten um eine Beratung oder Behandlung gebeten?

Munz: Hierzu liegen uns leider keine Zahlen vor. Vor der Corona-Pandemie war die Sprechstunde allerdings der Weg, auf dem unsere Patienten Kontakt zu einem Psychotherapeuten aufgenommen haben.

Welche Rückmeldungen haben Sie zum aktuellen Bedarf an telefonischen Erstsprechstunden?

Munz: Wir erhalten täglich Anfragen von Mitgliedern mit der Bitte, telefonische Behandlungen zu ermöglichen. Oft wird darauf verwiesen, dass die Internetverbindung oder gerade bei älteren Patienten die technische Ausstattung für eine Videobehandlung nicht ausreicht. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten berichten, dass Homeoffice, Homeschooling, aber auch die Anforderung an die Videobehandlung die soziale Spaltung im Land verstärkt. Familien mit niedrigen Einkommen können sich das technische Equipment schlicht nicht leisten.

Würden durch psychotherapeutische Sprechstunden per Telefon den Kassen zusätzliche Kosten entstehen? Oder müsste hier innerhalb von ärztlichen Budgets umverteilt werden?

Munz: Wenn die jetzt gefundene Lösung für telefonische Behandlung und Beratung auch auf Erstkontakte ausgeweitet würde, entstünden den Krankenkassen keine zusätzlichen Kosten da diese Leistung über die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung finanziert wird. Dann allerdings würden die Psychotherapeuten dieses Beratungsangebot quasi selber bezahlen. Wir fordern daher auch diese Leistungen extrabudgetär zu vergüten.

Wären Hausbesuche eine Alternative für den Start der Behandlung? Um dann in die telefonische Regelbehandlung einsteigen zu können.

Munz: Grundsätzlich sind für einen Teil der Patienten Hausbesuche für das Erstgespräch vorstellbar. Jedoch können damit nicht diejenigen erreicht werden, die in Quarantäne sind oder wegen eines Erkrankungsrisikos keinen persönlichen Kontakt zur Psychotherapie haben können.

BPtK-Forderung: Kein Ausschluss der Neuerkrankten von Telefonbehandlung

BPtK schreibt an Gesundheitsminister Jens Spahn

(BPtK) Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) hat sich an Gesundheitsminister Jens Spahn gewandt, damit auch psychisch kranke Menschen, die neu erkrankt sind, telefonisch psychotherapeutisch beraten und behandelt werden können, wenn sie während der Coronakrise nicht anders versorgt werden können. „Der Ausschluss von Neuerkrankten von der psychotherapeutischen Telefonversorgung ist befremdlich“, stellt BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz fest. „In einem sozialen Gesundheitssystem muss jede Kranke* Anspruch auf professionelle Hilfe haben.“

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband haben beschlossen, dass Psychotherapeut*innen rund eine psychotherapeutische Sitzung pro Monat (bis zu 20-mal 10 Minuten pro Patient*in pro Quartal) telefonisch beraten und behandeln können. „Für eine intensivere Behandlung stark belasteter Patient*innen reicht dies nicht aus“, kritisiert BPtK-Präsident Dr. Munz. „Unerklärlich ist jedoch, dass nicht auch Neuerkrankte, wenn es nicht anders möglich ist, telefonisch beraten und behandelt werden können. Unsere Kolleg*innen berichten, dass sie täglich neue Anfragen in ihren Praxen erhalten. Darunter sind insbesondere ältere Menschen oder solche mit somatischen Erkrankungen, die aufgrund der Ansteckungsgefahr nicht in die Praxen kommen können. Außerdem verfügen viele von ihnen nicht über die technischen Voraussetzungen, eine Videosprechstunde nutzen zu können oder leben in ländlichen Regionen mit unzureichender Internetanbindung.“ Der Ausschluss von der Telefonbehandlung trifft aber auch Kinder und Jugendliche, deren Familien sich finanziell die technische Ausrüstung nicht leisten können, um sich per Videogespräch von einer Psychotherapeut*in beraten und behandeln zu lassen.

„Sollte es keine andere Möglichkeit geben, ist der telefonische Kontakt während der Coronakrise unverzichtbar, um die psychotherapeutische Versorgung aufrechtzuerhalten“, erklärt BPtK-Präsident Munz. „Während der Coronakrise beobachten wir, dass sich depressive und Angstsymptome verstärken. Deshalb rufen uns täglich Patient*innen an, die Beratung und Behandlung benötigen, aber vorher noch nicht in unseren Praxen waren.

Unerklärlich ist für uns außerdem die Regelung, dass die Akutbehandlung nicht per Video erbracht werden kann. Gerade sie gäbe die Möglichkeit, mit bis zu 24-mal 25 Minuten Patient*innen in akuten Krisen rasch behandeln zu können. Eine patientenorientierte Lösung wäre es, während der Corona-Pandemie psychotherapeutische Leistungen generell auch per Telefon erbringen zu können.“

Psychologische Hotline zu Covid-19 Baden-Württemberg

Gemeinsame Aktion des Sozialministeriums, Landespsychotherapeutenkammer, Landesärztekammer, Kassenärztlicher Vereinigung und Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI, Mannheim)

(LPK BW) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

die Covid-19 Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen, Sorgen, Ängste und psychischen Belastungen großer Teile der Bevölkerung erfordert rasches und beherztes Handeln unserer Profession – über Berufsgruppen, Fachverbände, Kammern und staatliche Institutionen hinweg.

Eine interdisziplinäre Projektgruppe bestehend aus dem Sozialministerium des Landes Baden-Württemberg, Landespsychotherapeutenkammer und Landesärztekammer, Kassenärztlicher Vereinigung, sowie Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim, hat die technischen Voraussetzungen für ein niederschwelliges Hilfsangebot für viele Betroffene in Form einer psychologischen Beratungshotline geschaffen.

Über eine zentrale Nummer des Landes Baden-Württemberg werden Anrufe der besorgten Bevölkerung entgegengenommen und zeitnah professionell betreut.