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Interview der ÄrzteZeitung mit Dr. Dietrich Munz

(LPK BW) Dr. Dietrich Munz, Präsident der LPK BW und BPtK, hat der ÄrzteZeitung ein ausführliches Interview gegeben. Darin äußert er sich unter anderem zur Akzeptanz und häufigeren Inanspruchnahme von Psychotherapie, der Behandlung von psychischen Erkrankungen in der Arbeitswelt, dem Versorgungsstärkungsgesetz einschließlich notwendiger Reform der Bedarfsplanung und der Beziehung zwischen Ärzten und Psychotherapeuten.

Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankungen nimmt weiter zu

BKK legt „Gesundheitsatlas 2015 – Blickpunkt Psyche“ vor

(BPtK) Psychische Erkrankungen gehören bei den rund 9,3 Millionen Versicherten der Betriebskrankenkassen (BKK) weiterhin zu den häufigsten Erkrankungen. Bei über 30 Prozent der BKK-Versicherten wurde 2013 eine psychische Störung diagnostiziert – bei Frauen (35,7 Prozent) deutlich häufiger als bei Männern (26,1 Prozent), bei Arbeitslosen (32,2 Prozent) häufiger als bei Beschäftigten (27,0 Prozent). Bei 9,5 Prozent wurde eine depressive Störung und bei 2,6 Prozent eine rezidivierende depressive Störung diagnostiziert. Depressionsdiagnosen waren besonders häufig bei Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung, Sozialversicherung und Gesundheits- und Sozialwesen. Antidepressiva wurden in Ostdeutschland erheblich weniger verschrieben als in Westdeutschland. So wurden in Straubing (Bayern) mehr als 2,5-mal so häufig Antidepressiva verordnet wie in Meißen (Sachsen). Das sind die zentralen Ergebnisse des „Gesundheitsatlas 2015 – Blickpunkt Psyche“, den der BKK-Bundesverband in Berlin veröffentlichte.

Arbeitsunfähigkeit

Auch die Anzahl der Tage, die BKK-Versicherte aufgrund von psychischen Erkrankungen arbeitsunfähig geschrieben waren (AU-Tage), nahmen weiter zu. Rund 15 Prozent aller AU-Tage waren 2013 psychisch bedingt. Die Krankschreibungen dauerten durchschnittlich circa 40 Tage. Bei Depressionen fielen die Beschäftigten sogar 58 Tage aus. Keine andere Erkrankung (Krebserkrankungen, Kreislauf, Muskel-Skelett) führte zu so langen Ausfällen in den Unternehmen. Vor allem Beschäftigte in Hamburg, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen fehlten überdurchschnittlich häufig aufgrund von Depressionen. Die meisten Krankschreibungen wegen Depressionen (F32) erfolgten bei der Hälfte der AU-Tage (49,3 Prozent) aufgrund unspezifischer Diagnosen (F32.9).

Prävalenz- und Diagnosedaten

Der BKK-Dachverband nutzte die Expertise von Prof. Dr. Frank Jacobi (Psychologische Hochschule Berlin), um die BKK-Abrechnungsdaten mit Studien zur Häufigkeit psychischer Erkrankungen in Deutschland (Bundes-Gesundheitssurvey 1998 und DEGS1 2012) zu vergleichen.

Nach den epidemiologischen Studien nehmen psychische Erkrankungen nicht zu. Danach erkrankt weiterhin ungefähr jeder dritte Erwachsenen innerhalb eines Jahres an einem seelischen Leiden (BGS: 31,1 Prozent, DEGS: 30,1 Prozent). Seit Ende der 1990er Jahre des letzten Jahrhunderts ist keine generelle Zunahme der psychischen Störungen festzustellen. Dagegen haben die diagnostizierten psychischen Erkrankungen bei den BKK-Versicherten deutlich zugenommen: von 21,4 Prozent (2009) auf 30,5 Prozent (2013). Beide Häufigkeiten haben sich damit über die Jahre angenähert. Insbesondere bei Depressionen haben die Diagnose- die Prävalenzdaten sogar schon knapp überholt.

Der Anstieg der diagnostizierten psychischen Erkrankungen ist nach Jacobi unter anderem damit zu erklären, dass in der Vergangenheit längst nicht alle psychisch Kranke einen Arzt oder Psychotherapeuten konsultiert hatten. Aufgrund einer geringeren Stigmatisierung psychisch Kranker und einer besseren ambulanten Versorgung erhielten inzwischen mehr Patienten eine Behandlung. Jacobi geht davon aus, dass zurzeit psychische Erkrankungen sowohl überdiagnostiziert als auch weiterhin häufig nicht erkannt werden. Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung blieben Diagnosen länger in den Krankenakten, auch wenn die Betroffenen bereits wieder gesund seien. Auch könne der hohe Anteil unspezifischer Diagnosen dazu führen, dass der Anteil psychischer Erkrankungen überschätzt werde. Andere psychische Erkrankungen würden dagegen häufig nicht ausreichend diagnostiziert und behandelt. Nach wie vor sei von einem „Versorgungsmissstand“ bei schweren psychischen Erkrankungen auszugehen.

Arbeitsunfähige unter Druck der Krankenkassen

BPtK fordert Versichertenschutz im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz auszubauen

(LPK BW) Versicherte, die längere Zeit arbeitsunfähig sind und deshalb Krankengeld beziehen, sehen sich nicht selten von ihrer Krankenkasse unter Druck gesetzt. Sie erhalten nach Berichten der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) von ihren Kassen Anrufe, in denen sie dann zu hören bekommen: „Ach, im Hintergrund spielt das Radio – dann geht es Ihnen ja gar nicht so schlecht …“ oder „Jetzt stellen Sie sich doch nicht so an!“, „Gehen Sie wieder arbeiten!“. Einige Versicherte berichteten sogar, dass sie sich nicht mehr trauten, ans Telefon zu gehen, weil sie weitere Anrufe ihrer Krankenkasse befürchteten.

Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) fordert deshalb strengere Regeln darüber, welche Fragen Krankenkassen ihren Versicherten stellen dürfen. „Die Versicherten wissen häufig nicht, welche Rechte sie haben und was sie ihrer Krankenkasse mitteilen müssen und was nicht“, stellt BPtK-Präsident Prof. Dr. Rainer Richter fest und fordert deshalb, den Versichertenschutz durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz auszubauen. Krankenkassen wenden sich insbesondere dann an ihre Versicherten, wenn sie lange arbeitsunfähig sind und deshalb Krankengeld beziehen. Unter diesen Versicherten sind besonders viele psychisch kranke Menschen. Jeder fünfte Versicherte, der länger als sechs Wochen krankgeschrieben ist, ist psychisch krank.

„Es muss durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz präzise und einheitlich geregelt werden, welche Daten Krankenkassen von ihren Versicherten, die lange krankgeschrieben sind, zusätzlich zu den Daten erfragen dürfen, die ihnen aus der Routineversorgung zur Verfügung stehen“, fordert BPtK-Präsident Richter. Vor allem sollte künftig verglichen werden, wie die Krankenkassen mit ihren Versicherten umgehen, die längerfristig arbeitsunfähig sind. Dazu sollte das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen regelmäßig über die Beratungen der Kassen bei arbeitsunfähigen Versicherten und die Art und Weise, wie sie diese unterstützen, berichten. Das Institut sollte hierzu auch Versicherte befragen. „So könnten Versicherte die Wahl ihrer Krankenkasse auch davon abhängig machen, wie hilfreich diese ist, wenn sie längerfristig arbeitsunfähig werden“, betont BPtK-Präsident Richter. Außerdem sollten die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet werden, ihre Versicherten darüber zu informieren, dass ein Gespräch über ihre Arbeitsunfähigkeit absolut freiwillig ist und dass das Krankengeld nicht gekürzt oder gestrichen werden kann, wenn sie ein solches Gespräch ablehnen.

Grundsätzlich ist sinnvoll, psychisch kranke Menschen, die lange krank und arbeitsunfähig sind, über die ihnen zustehenden Leistungen des Gesundheitssystems zu informieren und ihnen dabei zu helfen, diese auch nutzen zu können, z. B. bei zu langen Wartezeiten auf eine Psychotherapie. Wesentliche Aufgabe der Krankenkassen ist es hierbei z. B. den Versicherten zu unterstützen, einen Behandlungsplatz zu finden oder den Übergang zwischen stationärer und ambulanter Behandlung möglichst reibungslos zu gestalten.

Aufgabe der Krankenkassen ist es dagegen nicht, in die Behandlung einzugreifen (z. B. durch Fragen zu Problemen am Arbeitsplatz, zu familiären Nöten und finanziellen Schwierigkeiten) oder kranken Versicherten zu raten, möglichst schnell an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Hat eine Kasse Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit, kann sie zur Klärung den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) einschalten. Sie selbst darf dies jedoch nicht eigenständig unter dem Vorwand der Beratung überprüfen. „Hier muss der Gesetzgeber einen Riegel vorschieben“, fordert BPtK-Präsident Richter.

Hintergrund Krankengeld: Unter dem Vorwand der „Beratung“ von lange arbeitsunfähigen Versicherten versuchen einige Kassen, ihre Ausgaben für Krankengeld kurzfristig zu verringern. Das Krankengeld ist eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung, durch die ein Versicherter bei längerer Krankheit und Arbeitsunfähigkeit (ab sechs Wochen) finanziell abgesichert werden soll. Die Dauer der Krankengeldzahlungen ist begrenzt. Der Versicherte erhält Lohnersatz für insgesamt maximal 78 Wochen für dieselbe Krankheit innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren. Bei Arbeitnehmern beträgt das Krankengeld 70 Prozent des Bruttolohns, jedoch nicht mehr als 90 Prozent des Nettolohns. Krankengeld ist bei den gesetzlichen Krankenkassen ein beträchtlicher finanzieller Posten. Die Ausgaben für Krankengeld betrugen im Jahr 2013 9,76 Milliarden Euro. Sie sind damit seit 2005 um zwei Drittel gestiegen (Abbildung 1).

Weitere Informationen zum Krankengeldmanagement der Krankenkassen finden sich in der BPtK-Studie zur Arbeitsunfähigkeit 2015.

Zahl der psychisch bedingten Krankheitstage steigt nicht weiter an

BPtK-Studie zur Arbeitsunfähigkeit 2015

(BPtK) Arbeitnehmer fehlten 2013 nicht häufiger aufgrund psychischer Erkrankungen als im Vorjahr. Damit ist die Zahl der psychisch bedingten Fehltage am Arbeitsplatz, die seit 2000 Jahr für Jahr zugenommen hat, zum ersten Mal nicht weiter gestiegen. Psychische Erkrankungen führten im Jahr 2013 dazu, dass Versicherte bei den ausgewerteten Krankenkassen rund 70 Millionen Tage krankgeschrieben waren. Das ist das Ergebnis der Studie zur Arbeitsunfähigkeit 2015 der Bundespsychotherapeutenkammer, die auf den Daten von fast 85 Prozent aller gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland basiert.