Qualität von psychotherapeutischen Gutachten

Round-Table-Gespräch der BPtK

(BPtK) Am 13. April 2015 veranstaltete die Bundespsychotherapeutenkammer ein Round-Table-Gespräch zur Qualität von psychotherapeutischen Gutachten. Daran nahmen Experten aus der Arbeitsgemeinschaft Forensik und den Landespsychotherapeutenkammern teil. Hintergrund ist die Vereinbarung von CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag, die Qualität von Gutachten insbesondere im familiengerichtlichen Bereich zu verbessern. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) arbeitet derzeit an der Umsetzung dieses Ziels.

Regelungen der Landespsychotherapeutenkammern

BPtK-Vorstand Frau Andrea Mrazek berichtete eingangs, dass am 8. Juli 2014 ein Fachgespräch im BMJV stattgefunden habe. Die Politik wolle auch deshalb die Qualität von Gutachten insbesondere bei den Familiengerichten verbessern, weil in der Presse über spektakuläre Fälle von Sorgerechtsentscheidungen berichtet worden sei, die auf fachlich indiskutablen Gutachten beruhten. Auch eine Untersuchung der Fernuniversität Hagen sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Qualität von Gutachten im familiengerichtlichen Bereich nicht auf dem erforderlichen Standard gewährleistet sei. Am 19. November 2014 sei ferner eine einschlägige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Aktenzeichen: 1 BvR 1178/14) ergangen.

Mrazek sah drei Problembereiche: Erstens gebe es verfahrensrechtlich keine Qualifikationsanforderungen an Gutachter, zweitens biete weder allein ein Psychologiestudium noch ein Medizinstudium die Gewähr für die gewünschte Qualität von Gutachten und drittens seien Sachverständigenlisten der Landespsychotherapeutenkammern erst im Aufbau und böten noch keine ausreichende Anzahl an qualifizierten Gutachtern. Die BPtK fordere deshalb gesetzliche Mindestanforderungen für die Qualifikation von Gutachtern festzulegen. Schließlich sei die Fortbildung einer ausreichenden Anzahl von Gutachtern erstrebenswert.

Elf von zwölf Landespsychotherapeutenkammern führten bereits Sachverständigenlisten und in zehn Landespsychotherapeutenkammern gebe es die Grundlage für Sachverständigenlisten bezogen auf das Familienrecht, berichtete Mrazek. Die Anzahl der eingetragenen Sachverständigen sei derzeit jedoch noch nicht ausreichend. Dies liege allerdings auch daran, dass die Fortbildungen noch nicht lange existierten. Es hätten bereits weit mehr Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten an den entsprechenden Fortbildungsveranstaltungen der Kammern teilgenommen als in die Listen eingetragen seien. Sie gehe daher davon aus, dass die Zahl der Sachverständigen in Zukunft erheblich steigen werde. Der Vorstand würde eine gesetzliche Regelung der Qualifikationen begrüßen und gehe davon aus, dass die Curricula der Psychotherapeutenkammern diese Anforderungen erfüllten.

Anforderungen an Gutachten aus fachlicher Sicht

Dr. Anne Liedtke, niedergelassene Psychotherapeutin in Halle mit langer Erfahrung in der Gutachtertätigkeit, stellte die strukturellen und inhaltlichen Anforderungen an Gutachten dar. Neben fachlichen Kenntnissen seien vor allem Kenntnisse der grundsätzlichen und aktuellen Rechtsprechung notwendig. Liedtke berichtete, dass Gutachten oft schon an der fehlenden Einhaltung des formellen Rahmens scheitern. Dazu gehöre insbesondere, die Fragestellung des Gerichts zu beachten. Aus ihrer Erfahrung falle es Gutachtern insbesondere zu Beginn ihrer Tätigkeit als Gutachter teilweise schwer, sich auf diese Fragestellung zu beschränken. Es werde häufig der Fehler gemacht, „alles“ zu untersuchen, obwohl das Gericht danach gar nicht frage. Das Gutachten müsse ferner vollständig sein und alle Angaben enthalten. Dazu gehöre insbesondere auch, wann mit wem gesprochen wurde. Auch psychodiagnostische Verfahren müssten mit Blick auf die Fragestellung ausgesucht werden.

Einen wesentlichen Teil des Gutachtenprozesses stelle neben der Aktenanalyse die Bildung relevanter Hypothesen nach wissenschaftlichen Grundsätzen dar. Zentral sei die Ableitung psychologischer Fragestellung aus der gerichtlichen Fragestellung. Im Gutachten müsse zwischen Untersuchungsberichten, testpsychologischen Untersuchungen und fremdanamnestischen Angaben klar unterschieden werden. Erst danach könne ein Befund erstellt werden, bei dem sie jedoch die Bezeichnung „familienpsychologische Erkenntnisse vor der Hintergrund der gerichtlichen Fragestellungen“ als Überschrift bevorzuge. Dann müsse die psychologische Fragestellung daraus abgeleitet und die gerichtliche Fragestellung beantwortet werden.

Eine häufige Fehlerquelle sei auch die Vermischung der Untersuchungsberichte und der Befunde, erläuterter Liedtke. Die Untersuchungsberichte müssten sich allein auf die Darstellung der Untersuchung beschränken und dürften nicht bereits eigene Schlussfolgerungen enthalten. Auch dürfte kein Auftrag übernommen werden, der gleichzeitig der Erstellung eines Gutachtens zur Glaubhaftigkeit und die familiengerichtliche Begutachtung enthalte. Dies müsse nach der Rechtsprechung voneinander getrennt werden. Die Qualität eines Gutachtens könne anhand der Kriterien Nachvollziehbarkeit, Transparenz, Überprüfbarkeit, Objektivität und Unparteilichkeit beurteilt werden.

Notwendige Qualifikation der Gutachter

Grundvoraussetzung für die Tätigkeit als Gutachter ist nach Liedtkes Auffassung ein abgeschlossenes Psychologiestudium, die Approbation als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut oder die Approbation als Psychologischer Psychotherapeut. Darüber hinaus sei eine spezifische Fortbildung erforderlich. Inhalt dieser Fortbildung sollte in jedem Fall ein Praxismodul sein, insbesondere Fallseminare, in denen ein Austausch von (potentiellen) Gutachtern mit Erfahrenen stattfinde, seien hilfreich.

Anforderungen an Gutachten aus juristischer Sicht

Joachim Lüblinghoff, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Hamm betonte, dass aus seiner Sicht eine Gesetzesänderung notwendig sei, um die Qualität von Gutachten insbesondere im familiengerichtlichen Bereich zu verbessern. Dies sei zu Beginn der politischen Gespräche nicht durchgängig so gesehen worden. Ein Ansatz sei gewesen, die Koalitionsvereinbarung ausschließlich durch Gespräche mit relevanten Verbänden umzusetzen.

Fehler auch auf Seiten der Gerichte

Er gehe davon aus, dass im Jahr ungefähr 10.000 Gutachten in Deutschland in familiengerichtlichen Verfahren eingeholt würden. Er betonte, dass die Probleme nicht allein bei den Gutachtern liegen, sondern dass auch von Gerichten Fehler gemacht worden seien. Der Deutsche Richterbund e.V. habe dies auch betont. Insbesondere seien die Gutachten nicht ausreichend von Seiten des Gerichts begleitet worden. Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. November 2014 scheine nun eine Gesetzesänderung angestrebt zu werden. Sprachlich sei die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ungewöhnlich scharf formuliert, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass es sich um eine Entscheidung einer Kammer und nicht eines Senats handle. Eine Formulierung wie „es sei schlechterdings nicht nachvollziehbar“ könne mit einem groben Behandlungsfehler im medizinischen Bereich verglichen werden.

Zwei Arten familiengerichtlicher Entscheidungen

Lüblinghoff unterschied zwei Verfahrensarten an Familiengerichten. Es gebe Verfahren, die auf Antrag eines Beteiligten eingeleitet werden, z. B. von den Eltern. Hauptstreitpunkt seien dann die elterliche Sorge und das Umgangsrecht. Diese Fälle – so bedeutsam sie für den jeweiligen Elternteil im Einzelnen seien – seien aus seiner Sicht die „Luxusfälle“ des Familiengerichts. Denn hier gehe es aus Sicht des Kindeswohls lediglich darum, bei wem das Kind „besser“ aufgehoben sei. Die Erziehungsfähigkeit beider Elternteile stehe in der Regel nicht zur Debatte.

Die zweite Gruppe seien die Verfahren, die von Amtswegen durchgeführt und auf Initiative von z. B. Jugendämtern oder auch Berufsgeheimnisträgern eingeleitet würden. Hier gehe es dann häufig um die Frage, ob ein Kind aus der Familie genommen werde. Er erläuterte den verfassungsrechtlichen Hintergrund dieser Arten familiengerichtlicher Entscheidungen.

Im Anschluss beschrieb Lüblinghoff die zuständigen Gerichte. Der Instanzenzug beginne beim Amtsgericht und dort bei der Abteilung Familiengericht. Als zweite Tatsacheninstanz sei dann unmittelbar das Oberlandesgericht zuständig. Als Rechtsmittel-instanz gebe es dann den 12. Senat des Bundesgerichtshofs. Über dem eigentlichen Instanzenzug sei das Bundesverfassungsgericht angesiedelt. Die Bedeutung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im familiengerichtlichen Bereich sei nicht zu unterschätzen. Ebenfalls befasse sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Fragen des Familienrechts.

Mindestanforderungen aus juristischer Sicht

Die juristischen Verbände arbeiteten derzeit an einem Papier, in dem die rechtlichen Mindeststandards an Gutachten beschrieben würden. Dieses Papier sollte in Form von Fragen zusammengefasst werden, die von den Gerichten zur Beurteilung dafür herangezogen werden könnten, ob ein Gutachten den aus rechtlicher Sicht bestehenden Mindeststandards genüge.

Stand der Gespräche mit den Verbänden

In der anschließenden Diskussion erläuterte BPtK-Vorstand Mrazek den Stand der Gespräche mit den Verbänden. Ziel des Round-Table-Gesprächs sei auch, die daraus gewonnenen Erkenntnisse in die weiteren Gespräche einfließen zu lassen. Die Teilnehmer diskutierten zunächst, wo entsprechende gesetzliche Mindeststandards verankert werden könnten. Eine Möglichkeit sei es, diese im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) zu verorten. Eine weitere Möglichkeit seien allgemeine Anforderungen in der Zivilprozessordnung, z. B. in Bezug auf die Befangenheit von Gutachtern. Insgesamt bestand bei den Teilnehmern der Eindruck, dass es zielführender sei, sich hier auf den Bereich des Familienrechts zu beschränken und nicht zu versuchen, allgemeine Mindeststandards für Sachverständige festzulegen. Dies sei ein großes Rad und es stünde zu befürchten, dass das Ziel dann gar nicht erreicht werden könne.

Mrazek erläuterte, dass die BPtK bei familiengerichtlichen Gutachten keinen Approbationsvorbehalt in dem Sinne fordere, dass nur Approbierte Gutachten erstellen könnten. Es sei aber zu berücksichtigen, dass häufig psychische Erkrankungen zu beurteilen seien und dann entsprechend von nicht approbierten Gutachtern ein Psychotherapeut oder ein entsprechender Facharzt hinzugezogen werden müsse.

Notwendige klinische Erfahrung

Die Teilnehmer hielten aber unabhängig von der Frage der Approbation eine erhebliche klinische Erfahrung für notwendig. Liedtke führte aus, dass ohne entsprechende Erfahrung die Gefahr bestünde, psychische Erkrankungen zu übersehen und deshalb zu unzutreffenden Ergebnissen zu kommen. Insbesondere könne ein Gutachter ohne klinische Erfahrung z. B. eine Psychose nicht ohne Weiteres erkennen. Kontrovers wurde die Frage diskutiert, in welchem Umfang klinische Erfahrungen vorliegen müssten. Ein großer Teil der Teilnehmer war der Auffassung, dass das in der Psychotherapeutenausbildung ohnehin vorgesehene psychiatrische Jahr erforderlich sei und genau diese klinische Erfahrung vermittle. Ein Teilnehmer wies darauf hin, dass insbesondere bei jungen Kindern entwicklungspsychologische Grundkenntnisse zwingend vorhanden sein müssten. Wenn in einem Gutachten bei einem knapp dreijährigen Kind die Frage gestellt wurde, wie sich die Einschätzungen von Vater und Mutter unterscheiden würden, so deute dies auf fehlendes entwicklungspsychologisches Wissen hin. In diesem Alter könne ein Kind sich noch gar nicht in diese unterschiedlichen Positionen hineindenken. Dies mache ein ansonsten fachlich nicht zu beanstandendes Gutachten unbrauchbar.

Aus Nordrhein-Westfalen wurde berichtet, dass sich die Anforderung einer dreijährigen Tätigkeit im Maßregelvollzug bei Gutachten in diesem Bereich als sehr zielführend herausgestellt habe.

Begutachtung bei Rückführungsfällen

Bei der Frage der Qualifikation des konkreten Gutachters sei auch die Schwierigkeit des zu begutachtenden Falles zu berücksichtigen. Vor erheblichen Problemen stünden die Gutachter bei sogenannten Rückführungsfällen, also Fällen, in denen bereits eine rechtskräftige Entscheidung über das Sorgerecht gefällt worden sei und es nun um die Frage ginge, ob das Kind zu seinen Eltern oder zu einem Elternteil zurückkehren könne. Dann dürften keine Zweifel daran bestehen, dass das Kindeswohl nicht gefährdet sei. Hier sei es wichtig, dass Gutachter über entsprechende Erfahrungen verfügten und sich auch trauten, diese Zweifel auszuräumen. Für den Gutachter bestehe in den Fällen das Problem, dass es entsprechend auf ihn zurückfalle, wenn bei der Rückführung etwas „schief“ gehe.

Bei der Frage der Qualität von Gutachten sei auch zu berücksichtigen, dass ein solches Gutachten die betroffenen Familien erheblich belaste und nicht mehr aus der Welt geschafft werden könne. Daher sei es wichtig, keine vorschnellen oder qualitativ minderwertigen Gutachten zuzulassen. Ein weiterer wichtiger Aspekt sei es, dass die Gutachten fachgerecht erstellt würden. Gerade der zitierte Fall des Verfassungsgerichts zeige, was passieren könne, wenn das nicht der Fall sei.

Keine „Obergutachten“

Insgesamt waren sich die Teilnehmer einig, dass gesetzliche Mindestanforderungen notwendig seien. Die Teilnehmer diskutierten, inwiefern „Obergutachten“ dazu beitragen könnten, die Qualität von Gutachten unabhängig vom konkreten Gerichtsverfahren zu verbessern. Diskutiert wurde, ob es sinnvoll sein könne, dass die Kammern eine entsprechende Begutachtung vom Gutachten auf die Einhaltung von Mindeststandards durchführen könne. Die Teilnehmer kamen jedoch zu dem Schluss, dass dies mit den vorhandenen Ressourcen in den Landespsychotherapeutenkammern nicht möglich sei und eine Kontrolle insoweit nur im Rahmen der Berufsaufsicht durchgeführt werden könne. Die Teilnehmer diskutierten die insgesamt negative Presseberichterstattung über familiengerichtliche Gutachter. Dies sei auch der „Sensationsberichterstattung“ geschuldet. Hier wurde der Wunsch geäußert zu versuchen, durch die Vermittlung von Interviews o. ä. ein positiveres Bild der Gutachter in der Presse herzustellen.

Psychische Erkrankungen sind Volkskrankheiten des 21. Jahrhunderts

BPtK: Präventionsgesetz ignoriert psychotherapeutischen Sachverstand

(BPtK) Psychische Erkrankungen gehören zu den Volkskrankheiten des 21. Jahrhunderts. Sie verursachen großes persönliches Leid sowie hohe Kosten für Wirtschaft und Sozialversicherung. „Ein Präventionsgesetz muss psychische Erkrankungen zu einem wesentlichen gesundheitspolitischen Thema machen“, fordert Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). „Vollkommen unverständlich ist, dass das Präventionsgesetz psychotherapeutischen Sachverstand nicht nutzt und die Expertise eines ganzen Berufsstands ignoriert.“ In Deutschland arbeiten rund 40.000 Psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten, die auf das Erkennen und Behandeln von psychischen Erkrankungen spezialisiert sind.

Das Präventionsgesetz schließt Psychotherapeuten von Gesundheitsuntersuchungen und präventiven Empfehlungen aus. Dabei sollte Prävention zu den essenziellen Leistungen einer psychotherapeutischen Sprechstunde gehören, wie sie die Bundesregierung im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz plant. „Psychische Beschwerden sind nicht immer behandlungsbedürftig“, erläutert BPtK-Präsident Richter. „Stellt ein Psychotherapeut jedoch Symptome einer psychischen Überforderung fest, die zu einer psychischen Erkrankung führen kann, sollte er präventive Maßnahmen empfehlen können.“ Dies gilt auch für Früherkennungsuntersuchungen bei Kindern und Jugendlichen. Zeigen Kinder und Jugendliche Auffälligkeiten, sollten diese in der Sprechstunde von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten abgeklärt werden. Bei Risiken für die psychische Gesundheit, die sich noch nicht zu behandlungsbedürftigen Erkrankung entwickelt haben, sollte der Psychotherapeut unmittelbar eine Präventionsempfehlung geben können.

„Psychotherapeuten dürfen auch bei der Festlegung von Handlungsfeldern der Prävention und Gesundheitsförderung nicht außen vor bleiben“, kritisiert BPtK-Präsident Richter weiter. Die Veränderung gesundheitsschädigenden Verhaltens und die Realisierung einer gesundheitsförderlichen Lebensweise (z. B. zur Prävention von Diabetes mellitus Typ 2 oder Adipositas bei Kindern und Jugendlichen) sind von einer Reihe emotionaler, motivationaler und sozialer Faktoren abhängig. Hier verfügen Psychotherapeuten über die fundierteste Expertise. „Bei der Festlegung von Handlungsfeldern und Kriterien für Leistungen, die gesundheitsbezogenes Verhalten ändern wollen, und bei der Förderung der psychischen Gesundheit verfügen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten über Kompetenzen, auf die ein modernes Präventionsgesetz nicht verzichten sollte.“

Psychische Erkrankungen auch in der letzten Lebensphase versorgen

BPtK zum Referentenentwurf für ein Hospiz- und Palliativgesetz

(BPtK) Schwerkranke und sterbende Menschen müssen nach den Zielen der Bundesregierung „die bestmögliche menschliche Zuwendung, Versorgung, Pflege und Betreuung erhalten“. Bis zu 50 Prozent der psychischen Erkrankungen in Palliativ- oder Hospizeinrichtungen werden jedoch nicht erkannt bzw. nicht ausreichend oder angemessen (35 Prozent) behandelt, auch weil die Patienten es häufig scheuen, ihre emotionale und psychische Belastung von sich aus anzusprechen. „In der letzten Lebensphase werden psychische Erkrankungen häufig vernachlässigt“, kritisiert Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). „Bei dem flächendeckenden Auf- und Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung muss deshalb auch die unzureichende psychotherapeutische Versorgung dringend verbessert werden.“

Bis zu einem Drittel der Patienten in Palliativ- und Hospizeinrichtungen leidet unter einer behandlungsbedürftigen affektiven Störung. Zudem treten bei schwerkranken und sterbenden Patienten häufig kognitive Störungen auf. Die Schätzungen hierfür liegen zwischen 25 und 85 Prozent. Die Überlappung von körperlichen und psychischen Symptomen bei sterbenden Patienten erschweren die Differenzialdiagnostik und Erfassung des psychologischen Unterstützungsbedarfs dieser Patienten. Psychotherapeutischer oder fachärztlicher Sachverstand sollte deshalb regelhaft in der Palliativversorgung aber auch in Pflegeinrichtungen, in denen viele Menschen die letzte Lebensphase verbringen, verfügbar sein, um eine bedarfsgerechte Versorgung der Patienten zu gewährleisten.

Am 13. April 2015 fand im Bundesministerium für Gesundheit die Anhörung zum Referentenentwurf statt. Der Beginn der parlamentarischen Beratungen ist für Ende April 2015 geplant.

ADHS nicht mehr im Morbi-RSA berücksichtigt

(BPtK) Im Finanzausgleich zwischen den gesetzlichen Krankenkassen („morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich/Morbi-RSA“) werden im nächsten Jahr nicht mehr die häufigsten psychischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen berücksichtigt. Dazu gehören die Diagnosen ADHS, Störungen des Sozialverhaltens sowie die Entwicklungsstörungen. „Damit sind Krankenkassen, die sich für eine gute Versorgung von psychischen Erkrankungen besonders bei Kindern und Jugendlichen einsetzen, benachteiligt“, kritisierte Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK).

Der Grund für diese Entscheidung ist, dass nicht grundsätzlich alle Erkrankungen im Finanzausgleich der gesetzlichen Krankenkassen berücksichtigt werden, sondern nur die 80 häufigsten und kostenintensivsten Erkrankungen. Um im Morbi-RSA berücksichtigt zu werden, müssen zudem die durchschnittlichen Gesamtausgaben eines Versicherten mit einer solchen Diagnose mindestens das 1,5-Fache der durchschnittlichen Ausgaben aller Versicherten unabhängig vom Alter betragen. Dadurch sind Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen grundsätzlich benachteiligt. ADHS gehört zwar zu den häufigsten und kostenintensivsten Erkrankungen im deutschen Gesundheitssystem. Da sie aber fast ausschließlich bei Kindern und Jugendlichen diagnostiziert wird, die kaum andere chronische Erkrankungen haben, fällt sie aus dem Morbi-RSA heraus. Die hohe Multimorbidität älterer Versicherter verzerrt die durchschnittlichen Ausgaben aller Versicherten.

Die BPtK hatte in ihrer Stellungnahme an das Bundesversicherungsamt (BVA) bereits kritisiert, dass bei der Krankheitsauswahl im Morbi-RSA weder eine Altersadjustierung noch eine Kontrolle für Komorbiditäten erfolge. Dies könne zum Ausschluss kostenintensiver chronischer Erkrankungen führen, von denen vorwiegend Kinder und Jugendliche betroffen sind. Die BPtK fordert deshalb eine entsprechende Korrektur der Regelungen für die Krankheitsauswahl in der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung (RSAV).

Auch der Wissenschaftliche Beirat beim BVA hatte bereits in seinem Gutachten 2007 kritisiert, dass im Morbi-RSA „Krankheiten, die einen Häufigkeitsgipfel in einem nach Alter abgegrenzten Lebensabschnitt aufweisen, beispielsweise im Kindesalter, systematisch unterbewertet“ werden. In den Erläuterungen zu den Festlegungen der Krankheitsauswahl für 2016 stellt der Wissenschaftliche Beirat beim BVA ebenso fest, dass die Kritik der BPtK inhaltlich nachvollzogen werden könne. Allerdings lasse der Wortlaut in § 31 RSAV keine andere Entscheidung zu. Dadurch sei für eine Berücksichtigung von Alter oder Komorbiditäten kein Raum, weder bei der Ermittlung der durchschnittlichen Leistungsausgaben der Versicherten mit einer Krankheit noch der Leistungsausgaben aller Versicherten. Dafür müsse das Bundesministerium für Gesundheit die Verordnung an dieser Stelle ändern.

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„Psychische Erkrankungen müssen vertraulich bleiben“

BPtK gegen neue Regelungen zur Schweigepflicht oder ein Berufsverbot

(BPtK) Die Bundespsychotherapeutenkammer hält neue Regelungen zur Schweigepflicht oder gar ein Berufsverbot bei psychischen Erkrankungen für schädlich. „Jeder Arzt und Psychotherapeut ist schon jetzt nicht an seine Schweigepflicht gebunden, wenn ein Patient sich selbst oder Leib und Leben anderer bedroht“, stellt BPtK-Präsident Prof. Dr. Rainer Richter klar. „Der wirksamste Schutz für alle ist jedoch ein psychisch kranker Mensch, der in Behandlung ist und dort offen über seine Gedanken und Gefühle sprechen kann. Er sollte vor allem in Krisen keine Scheu haben müssen, sich anderen anzuvertrauen und professionelle Hilfe zu suchen.“

Psychotherapeuten haben in ihrer Berufsordnung bereits Ausnahmen zur Schweigepflicht insbesondere deshalb vorgesehen, um ihre Patienten davor bewahren zu können, sich selbst oder andere zu gefährden. Ein psychisch kranker Mensch hat vor allem ein höheres Risiko, sich selbst das Leben zu nehmen. „Viele Menschen behalten diese Gedanken an einen Suizid für sich und erzählen niemandem davon, teilweise nicht einmal ihrem Therapeuten“, erläutert BPtK-Präsident Richter. „Nur ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Patient und Psychotherapeut bietet die Chance, rechtzeitig von einem Suizidgedanken zu erfahren und therapeutisch entgegenzuwirken. Dazu kann auch eine Behandlung in einem Krankenhaus gehören, notfalls sogar gegen den Willen des Patienten.“

Die bestehenden Vorschriften zur Schweigepflicht sind deshalb angemessen und sollten nicht geändert werden. „Die öffentliche Debatte über neue Regelungen zur Schweigepflicht oder gar ein Berufsverbot ist dagegen äußerst schädlich und kann sich schnell zu einer Hetzjagd auf psychisch kranke Menschen auswachsen“, kritisiert BPtK-Präsident Richter. „Wenn psychisch Kranke nicht darauf vertrauen können, dass ihre Erkrankung vertraulich bleibt, dann suchen sie dafür einfach keine professionelle Hilfe mehr. Das bedeutete für Millionen Patienten großes individuelles Leid. Die Drohung mit einem Berufsverbot, wie es der bayerische Innenminister Joachim Herrmann und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Prof. Dr. Karl Lauterbach, fordern, würde diese Entwicklung noch massiv verstärken.“

In Deutschland erkranken jährlich knapp 18 Millionen Menschen an einer psychischen Störung. Rund sechs Millionen leiden an einer Depression, davon drei Viertel an einer mittleren oder schweren Depression. Bisher erhält gerade einmal gut die Hälfte der depressiv kranken Menschen eine professionelle Behandlung. „Diese viel zu niedrige Behandlungsrate ist darauf zurückzuführen, dass psychische Erkrankungen immer noch stark stigmatisiert sind“, erklärt der BPtK-Präsident. „Es ist deshalb völlig inakzeptabel, jetzt so viele Menschen unter einen pauschalen Verdacht zu stellen, für andere gefährlich zu sein.“

Depressive Menschen gefährden vor allem sich selbst. Schwer psychisch kranke Menschen, die suizidgefährdet sind, sind außerdem meist gar nicht arbeitsfähig und häufig in stationärer Behandlung. Dass sie andere Menschen gefährden, ist die absolute Ausnahme. Ein bekanntes, aber äußerst seltenes Beispiel sind schwer depressiv erkrankte Mütter, die ihre kleinen Kinder mit in den Tod nehmen. Viel häufiger sind dagegen Männer, die ihre ehemaligen Partnerinnen töten und sich danach selbst umbringen. Dabei ist allerdings häufig strittig, inwieweit eine psychische Erkrankung dafür der entscheidende Grund war. Auch bei dem Piloten des Germanwings-Absturzes ist bisher nicht klar, ob die psychische Erkrankung eine ursächliche Rolle bei der Tat gespielt hat.

Verbindliche Anforderungen an die Personalausstattung unverzichtbar

BPtK-Veranstaltung zur psychotherapeutischen Versorgungsqualität in Psychiatrie und Psychosomatik

(BPtK) Mit der Einführung eines pauschalierenden Entgeltsystems für Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) und dem damit verbundenen Auslaufen der Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) wurde der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) vom Gesetzgeber beauftragt, Empfehlungen für die Ausstattung der Einrichtungen mit dem für die Behandlung erforderlichen therapeutischen Personal zu erarbeiten. Die Versorgungsqualität in Psychiatrie und Psychosomatik hängt – mehr noch als in der Somatik – entscheidend von der Anzahl und Qualifikation des therapeutischen Personals ab. Der gesetzliche Auftrag lässt jedoch Interpretationsspielraum hinsichtlich der Verbindlichkeit der Anforderungen an die Personalausstattung. Er lässt offen, ob es sich lediglich um Empfehlungen oder um verbindliche Mindestanforderungen für die Krankenhäuser handeln soll. Der G-BA hat bereits eine Arbeitsgruppe Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik (AG PPP) eingesetzt, die u. a. diese Frage diskutieren soll.

Empfehlungen oder Mindestanforderungen

Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) veranstaltete am 10. März 2015 eine Tagung, um diese Frage mit Vertretern von Leistungserbringern, Kostenträgern und Patienten zu diskutieren. Als Vertreterin der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) sprach sich Dr. Sabine Haverkamp dann für verbindliche Mindestanforderungen aus, wenn gleichzeitig deren Finanzierung gesichert werde. Verbindliche Vorgaben zögen auch immer eine Prüfung dieser Vorgaben nach sich, die Vorgaben müssten deshalb ausreichend flexibel sein, damit sie von den Krankenhäusern auch erfüllt werden könnten.

Aus Sicht der Krankenkassen müsse vor allem gesichert sein, dass das Geld, was den Krankenhäusern zur Verfügung gestellt werde, auch in Personal umgesetzt werde. Quersubventionierungen anderer Krankenhausbereiche, wie sie unter der Psych-PV möglich gewesen wären, müssten zukünftig verhindert werden. Derzeit diskutiere der GKV-Spitzenverband vor allem, ob Mindestanforderungen für die gesamte Psychiatrie sinnvoll seien oder ob es nicht vielmehr darum gehe, in besonders qualitätssensiblen Bereichen, wie der Kinder- und Jugendpsychiatrie oder der Akutpsychiatrie, verbindliche Vorgaben zu machen, erläuterte Dr. Ute Watermann vom GKV-Spitzenverband.

Aus BPtK-Sicht sind verbindliche Mindestanforderungen und deren ausreichende Finanzierung zwingende Voraussetzungen, um eine gute Versorgungsqualität in Psychiatrie und Psychosomatik zu erhalten und zu erreichen. Eine qualitativ hochwertige Versorgung psychisch kranker Menschen sei vor allem gesprächs- und beziehungsorientiert, stellte BPtK-Präsident Prof. Dr. Rainer Richter fest. Gerade bei der Implementierung psychotherapeutischer Behandlungskonzepte gebe es erheblichen Nachholbedarf, da sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse seit der Verabschiedung der Psych-PV entscheidend weiterentwickelt hätten. Dies könne nur erreicht werden, wenn ausreichend Psychotherapeuten und psychotherapeutisch geschulte Teams in der stationären Versorgung zur Verfügung ständen. Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, die es zum Zeitpunkt der Entwicklung der Psych-PV noch nicht gab, müssten im zukünftigen Personalportfolio der Krankenhäuser ausdrücklich verankert werden.

Podiumsdiskussion

Dem Ziel einer stärker psychotherapeutisch orientierten Versorgung in der Psychiatrie stimmte Dr. Iris Hauth, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) ausdrücklich zu. Die Fehler der Psych-PV, die vor allem in der Akutpsychiatrie kaum Psychotherapie vorgesehen habe, dürften nicht tradiert werden. Die Entwicklung der Anforderungen an die Personalausstattung sollte soweit möglich evidenzbasiert erfolgen.

Psychotherapie umfasse mehr als das psychotherapeutische Einzel- und Gruppengespräch, ergänzte BPtK-Präsident Richter. Eine psychotherapeutische Grundhaltung des gesamten Teams und psychotherapeutische Kurzinterventionen seien im stationären Bereich auch von immenser Wichtigkeit. Prof. Richter erinnerte an den Begriff der „Therapeutischen Gemeinschaft“. Dieser Ansatz sei lange aus der Mode gewesen, obwohl die positiven Auswirkungen auf die Gesundung der Patienten hinreichend bekannt seien. Heute entständen jedoch wieder Soteria-Stationen, die nach dem Prinzip einer therapeutischen Wohngemeinschaft arbeiten, wie z. B. am St. Hedwig-Krankenhaus in Berlin speziell für junge Patienten in psychotischen Krisen.

DGPPN-Präsidentin Hauth appellierte an alle Leistungserbringer, sich gemeinsam für eine ausreichende Finanzierung und Personalausstattung der stationären Versorgung psychisch kranker Menschen einzusetzen. Eine Forderung, die auch Prof. Dr. Michael Löhr, Experte im Bereich psychiatrische Pflege von der Fachhochschule Bielefeld, teilte. Die Erfahrungen mit der Einführung der Fallpauschalen (DRG) in den somatischen Häusern zeigten, dass es unter Kostendruck in einem pauschalierten Entgeltsystem vor allem zu massivem Stellenabbau in der Pflege gekommen sei. Diese Entwicklung dürfe sich in den psychiatrischen Häusern mit der Einführung des PEPP auf keinen Fall wiederholen. Dr. Claus Krüger vom Verband der Psychosomatischen Krankenhäuser und Krankenhausabteilungen in Deutschland (VPKD) sah deshalb vor allem auch die Notwendigkeit, eine funktionierende Qualitätssicherung in den psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen einzuführen. Die Schaffung geeigneter Komplexcodes für die Leistungserfassung, in denen Prozess- und Strukturmerkmale kombiniert würden, könnten auch ein geeigneter Weg sein, Anforderungen an die Personalausstattung zu implementieren. Hierzu müssten jedoch die verschiedenen Leistungserbringer besser als bisher bei der Entwicklung des PEPP zusammenarbeiten.

Gleichzeitig dürfe das neue Entgeltsystem eine Weiterentwicklung der stationären Versorgung in Richtung eines flexibleren Behandlungsangebots, das in Abhängigkeit von den Patientenbedarfen und -bedürfnissen stationär, teilstationär, ambulant oder zu Hause erfolgen kann, nicht behindern. Auf diesen Punkt wies insbesondere Jurand Daszkowski vom Landesverband Psychiatrie Erfahrener Hamburg ausdrücklich hin.

Psychotherapeutische Versorgungsqualität – Beispiele aus der Praxis

Wie eine evidenzbasierte und psychotherapeutisch orientierte Versorgung in Psychiatrie und Psychosomatik unter den heutigen Bedingungen gelingt, war Thema des Nachmittags der BPtK-Veranstaltung. In einer Reihe von Fachvorträgen wurden Beispiele für eine gelungene Implementierung wirksamer, psychotherapeutischer Behandlungsansätze in den stationären Alltag vorgestellt.

Psychosen und Depressionen
Prof. Dr. Stefan Klingberg von der Universität Tübingen berichtete über ein stationäres Psychotherapie-Konzept für Patienten mit Psychosen. In manchen Krankenhäusern würde Psychotherapie bei der Behandlung von Psychosen immer noch als „Kunstfehler“ bezeichnet, zitierte er eine Klinik-Webseite. Das sei eine vollkommen überholte Auffassung von Psychosentherapie. In Tübingen sei es trotz der großen Heterogenität hinsichtlich des Krankheitsbildes, der sozialen Integration und der Komorbiditäten gelungen, ein 8-wöchiges Komplexprogramm zu etablieren, in dem alle erforderlichen Behandlungsansätze inclusive Psychotherapie integriert seien. Dabei würden die Patienten nicht selektiv aufgenommen, sondern in 80 bis 90 Prozent der Fälle von der Aufnahmestation überwiesen. Mit einer Personalausstattung von einem Arzt, 1,25 Psychologischen Psychotherapeuten, ½ Psychologen, einem Psychotherapeuten in Ausbildung und 8,5 Pflegekräften könnten 20 Behandlungsplätze (17 vollstationär und 3 teilstationär) entsprechend versorgt werden.

Unipolare Depressionen sind neben Psychosen ein Hauptaufnahmegrund in einem psychiatrischen Krankenhaus. Auch für unipolare Depressionen ist nachgewiesen, dass Psychotherapie eine wirksame Behandlungsmethode ist. Unter den derzeitigen Bedingungen können jedoch nicht alle Patienten ausreichend psychotherapeutisch versorgt werden, wie Dr. Sabine Hoffmann, leitende Psychologin der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie I&II in den Kliniken im Theodor-Wenzel-Werk in Berlin, berichtete. In ihrer Abteilung erhalten Patienten mit Depressionen kognitive Verhaltenstherapie, im Einzel und in störungsspezifischen Gruppen. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen erhielt nur knapp ein Viertel der Patienten Einzelgespräche in wünschenswertem Umfang und knapp ein Drittel eine störungsspezifische Gruppentherapie.

Besondere Anforderungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
Die Kinder- und Jugendpsychiatrie kämpfe insbesondere mit einer sinkenden Personalausstattung, stellte Jan Wiedemann, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Schleswig fest. Wiedemann mahnte, dass gerade Kinder- und Jugendliche eines besonderen Schutzes bedürften und ihre Rechte nicht selber einklagen könnten. Eine Personalausstattung, die aktuell nicht immer gewährleisten könne, dass die jungen Patienten leitliniengerecht versorgt werden könnten, sei nicht akzeptabel. Kinder Jugendliche müssen in kleinen Gruppen behandelt und betreut werden, große Stationen verstärkten den Stress für die Patienten und führten eher dazu, dass Symptome wir Unruhe, Hyperaktivität und Aggressivität sich verschlimmerten als verbessern. Gerade für die Kinder- und Jugendpsychiatrie scheinen verbindliche Vorgaben deshalb unerlässlich.

Komplexe störungsspezifische Therapieprogramme
Über die gelungene Integration einer störungsspezifischen Behandlung von Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) auf einer normalen Station, referierte Dr. Ernst Kern von der Psychiatrischen Klinik Sonnenberg in Saarbrücken. Auf seiner Station würden sechs Behandlungsplätze speziell für Patienten mit einer BPS angeboten, die dort mit einem störungsspezifischen Komplexprogramm (dialektisch behaviorale Therapie nach Linehan) behandelt würden. Die Ergebnisse zeigten, dass sich mit einem guten störungsspezifischen Therapiekonzept, ausreichend Personal und Zeit mit überschaubarem Aufwand ausgezeichnete Therapieerfolge erzielen lassen würden. Die meisten integrativen Konzepte dauerten 12 bis 13 Wochen und bezögen das gesamte Behandlungsteam ein, das weitergebildet sowie kontinuierlich geschult und supervidiert werde.

Über ähnliche Erfahrungen und Ergebnisse berichteten Prof. Dr. Jörn von Wietersheim bei der Behandlung von Essstörungen und Klaus Dilcher bei der Behandlung von Traumafolgestörungen. In der psychosomatischen Universitätsklinik Ulm werden magersüchtige Patienten mit einem intensiven und komplexen Behandlungsprogramm entsprechend den Leitlinienempfehlungen behandelt. In Urlauszeiten und bei Krankheit entstünden jedoch bei der aktuellen Personalausstattung Engpässe und Therapien müssten ausfallen, berichtete von Wietersheim. Auch im Pflegebereich reichten die vorgesehenen Stellen nicht aus, um Essbegleitungen und Nachbesprechungen, die heute zum Standard in der Behandlung von Essstörungen gehörten, ausreichend gewährleisten zu können. Auch gebe es derzeit noch zu wenige Zentren oder Ambulanzen, die auf die Behandlung von Essstörungen spezialisiert seien. Bei dieser komplexen, häufig chronisch verlaufenden und mit einem hohen Mortalitätsrisiko behafteten Erkrankung sei dies jedoch unbedingt erforderlich.

Auch die Behandlung von komplexen Traumastörungen erfordere eine ausreichende Personalausstattung mit spezifisch fortgebildeten Psychotherapeuten, erläuterte Dilcher, Leitender Psychologe und Geschäftsführer der Klinik am Waldschlösschen in Dresden. In seiner Klinik würden die Patienten in einem geschützten Rahmen vor allem intensiv einzeltherapeutisch behandelt, mit guten Therapieerfolgen. Die Kosten für die hierfür notwendige Personalausstattung seien im derzeitigen Krankenhausfinanzierungssystem nicht ausreichend abgebildet.

Unabhängig von Störungsbild und Krankenhaus plädierten alle Referenten einstimmig für ein besser ausgebautes psychotherapeutisches Angebot in den Krankenhäusern und eine Personalausstattung, die auch intensive Einzeltherapien mit den Patienten ermöglichten, da alle Erfahrungen zeigten, dass diese besonders wirkungsvoll seien.

(Statements und Fachvorträge der BPtK-Veranstaltung werden in einem Buch veröffentlicht.)

Professor Richter zur Schweigepflicht

Interview der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vom 30. März 2015

(BPtK) Hintergrund des Interviews ist der Flugzeugabsturz in den französischen Alpen.

Rechtfertigt ein solcher Fall eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht, wenn also Leib und Leben anderer Menschen gefährdet sind?

Die Schweigepflicht ist in Fällen, in denen Patienten andere Personen gefährden, nicht das Problem. Schon jetzt sind Ärzte und Psychotherapeuten befugt, die Schweigepflicht zu durchbrechen, wenn sie dadurch die Schädigung Dritter verhindern können. In Fällen, in denen es um Leben und Tod geht, sind sie dazu sogar verpflichtet.

Könnte eine Lockerung für bestimmte Berufe mit hohem Berufsrisiko wie den Piloten derartige Katastrophen verhindern?

Nein, denn das Problem ist nicht die Schweigepflicht, sondern die grundsätzliche Schwierigkeit, bei einem Menschen die Absicht, sich und insbesondere Dritte zu schädigen, verlässlich zu erkennen und die Ernsthaftigkeit einzuschätzen. Die höchste Kompetenz hierzu haben Psychotherapeuten und entsprechende Fachärzte, aber auch die können sich irren. Ich halte die aktuelle Diskussion über eine mögliche Lockerung der Schweigepflicht deshalb für voreilig und irreführend. Wer sollten außerdem solche Berufe mit „hohem Berufsrisiko“ sein? Wir müssen davon ausgehen, dass pro Jahr mehrere hundert Kfz-Unfälle in suizidaler Absicht herbeigeführt werden. Wo wäre da die Grenze zu ziehen?

Auch die offensichtliche Tatsache einer Jahre zurückliegenden Behandlung einer Depression lässt eine Vorhersage einer späteren Suizidgefährdung nicht zu – und schon gar nicht einer Fremdgefährdung, ohne weitere Erkenntnisse über die Lebensgeschichte zu haben.

Wenn der Mann suizidgefährdet ist, kann man überhaupt erkennen, welche Art des Suizids er wählt?

Nein, es sei denn, er hätte mit jemandem, z. B. seinem Arzt, über seinen Plan gesprochen. Auch hier rate ich zur Besonnenheit: Derzeit nehmen wir an, dass Herr L. in suizidaler Absicht gehandelt hat, aber wir wissen es ebenso wenig, wie wir wissen, ob der Suizid – wenn es denn einer war – im Zusammenhang mit einer Depression oder einer anderen psychischen Erkrankung, z. B. einer Psychose, zu sehen ist.

Bundeskonferenz PiA wählt neues Sprecherteam

Arbeitsgruppe zur Ausbildungsreform gegründet

(BPtK) Die Bundeskonferenz der Psychotherapeuten in Ausbildung (PiA) wählte am 24. März 2015 Anna Eiling aus Berlin zur neuen Sprecherin sowie Dominik Schoeller aus Bayern und Sven Baumbach aus Hessen zu Stellvertretern. Der bisherige Sprecher Benjamin Lemke war nicht zur Wiederwahl angetreten. Die Bundeskonferenz PiA bedankte sich bei ihm für seine engagierte Arbeit.

Die Bundeskonferenz PiA diskutierte die Anforderungen an die Umsetzung der Direktausbildung und gründete eine Arbeitsgruppe zur Ausbildungsreform und dem BPtK-Projekt „Transition“, die bis zum 26. Deutschen Psychotherapeutentag eine Stellungnahme der PiA erarbeiten soll.

Kürzere Wartezeiten beim Psychotherapeuten

BPtK zum GKV-Versorgungsstärkungsgesetz

(BPtK) Termine beim Psychotherapeuten könnten viel schneller möglich sein. Dafür ist eine psychotherapeutische Sprechstunde notwendig, durch die ein Ratsuchender mit psychischen Beschwerden, kurzfristig einen Termin erhält. Bisher wartet ein psychisch kranker Mensch durchschnittlich mehr als drei Monate auf einen ersten Termin beim niedergelassenen Psychotherapeuten.

„Der Gesetzgeber muss im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz sicherstellen, dass jemand, der aufgrund psychischer Beschwerden Beratung oder Hilfe benötigt, schnell eine qualifizierte Auskunft erhält“, fordert Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). „Einem Ratsuchenden kann aber nur weitergeholfen werden, wenn überhaupt klar ist, ob und woran er leidet. Eine psychotherapeutische Sprechstunde ohne fachgerechte Diagnostik gefährdet den Patienten. Beratung setzt Diagnostik voraus, ansonsten müssten Psychotherapeuten ihre Sorgfaltspflichten verletzen. Der Gemeinsame Bundesausschuss braucht deshalb durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz einen klareren Auftrag als derzeit im Gesetzentwurf vorgesehen.“

In der Warteschlange beim Psychotherapeuten befinden sich Ratsuchende mit sehr unterschiedlichen Fragen, Beschwerden oder Erkrankungen. Manchen wäre schon mit wenigen Gesprächen geholfen. Dies zeigt sich auch an der Anzahl derjenigen, die nach den ersten Gesprächen keine psychotherapeutische Behandlung beginnen. Fast 40 Prozent nutzen nicht mehr als die probatorischen Sitzungen (siehe Grafik 1). Andere brauchen schnellstmöglich einen Therapieplatz oder eine Einweisung ins Krankenhaus. Alle Anfrager warten jedoch die gleiche Zeit auf einen ersten Termin. Alle könnten schneller wissen, was ihnen fehlt und wie ihnen geholfen werden kann, wenn Psychotherapeuten eine Sprechstunde anbieten könnten.

Durch eine psychotherapeutische Sprechstunde sollten Menschen mit psychischen Beschwerden innerhalb einer Woche einen ersten Termin erhalten. Patienten mit leichten Beschwerden könnten z. B. auf wirksame therapeutengestützte Selbsthilfeangebote oder Angebote von Beratungsstellen verwiesen werden. Schwer psychisch kranken Menschen könnte gezielter ein komplexes ambulantes und, wenn notwendig, auch stationäres Behandlungs- oder Rehabilitationsangebote gemacht werden.

Psychotherapeuten müssen dafür durch weitere Anpassungen im SGB V in die Lage versetzt werden, ihren Patienten ein breiteres Spektrum an Hilfen anzubieten bzw. auf solche Angebote verweisen zu können, einschließlich:

  • präventiver Beratung,
  • regelmäßigem Monitoring bei psychotherapeutisch begleiteter Selbsthilfe,
  • mediengestützter Interventionen,
  • psychoedukativer (Gruppen-)Angebote,
  • Akutversorgung und Kriseninterventionen,
  • komplexer ambulanter Behandlungsangebote, die auch längere Behandlungen bei einer Kombination von Einzel- und Gruppenpsychotherapie umfassen,
  • aufsuchender Behandlung, z. B. in der Wohnung des Patienten,
  • der Möglichkeit, in dringenden Notlagen ins Krankenhaus einzuweisen,
  • der Verordnung von Rehabilitation,
  • der Verordnung von Heilmitteln für Kinder und Jugendliche, Ergotherapie in der neuropsychologischen Therapie sowie Soziotherapie.

Das Kapazitätsproblem in der Psychotherapie wird sich nicht durch eine weitere Ausweitung der Kurzzeittherapie lösen lassen, wie der aktuelle Entwurf des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes noch suggeriert. Psychotherapeuten behandeln ihre Patienten schon heute nur so lange und so intensiv, wie es für eine erfolgreiche Therapie erforderlich ist. Der Anteil der Kurzzeittherapie liegt bei rund 70 Prozent, etwa ein Viertel der Behandlungen dauert sogar nur bis zu zehn Stunden (siehe Grafik 2). Das Ausmaß an Kurzzeittherapie stößt damit bereits an fachliche Grenzen, die nicht mehr zu unterschreiten sind. Die aktuellen Daten zu den Therapiedauern unterstreichen zudem, dass die bewilligten Behandlungskontingente von Patienten und Psychotherapeuten nicht ausgeschöpft werden.

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Bundeseinheitliches Verhältnis von Psychotherapeuten zu Einwohnern

Bertelsmann-Studie zur Psychotherapeutendichte

(BPtK) Die psychotherapeutischen Praxen sind in Deutschland sehr ungleich verteilt. Dies stellt die Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Berliner Forschungsinstitut IGES in einer neuen Studie fest. Der Grund dafür sind insbesondere gesetzliche Vorgaben: Danach soll ein Psychotherapeut in ländlichen Regionen rund 6.000 Einwohner versorgen, in Großstädten aber nur halb so viele. Dieses Ungleichgewicht wird damit begründet, dass in Städten häufiger Patienten aus dem Umland mit versorgt werden.

Die Bertelsmann Stiftung schlägt nun ein bundesweit einheitliches Verhältnis von Psychotherapeut pro Einwohner vor, damit sich die Praxen bedarfsgerechter verteilen. „Die Einführung einer bundeseinheitlichen Verhältniszahl ist zu begrüßen. Hierdurch könnte das Stadt-Land-Gefälle in der Versorgung verringert werden. Menschen auf dem Land sind genauso häufig psychisch krank wie Menschen, die in der Stadt leben und brauchen genauso häufig eine psychotherapeutische Behandlung“, erklärt Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). „Problematisch wäre es jedoch, wenn dafür die bisherige Bedarfsplanung die Grundläge wäre.“

Die bisherigen Vorgaben unterschätzen den Bedarf an psychotherapeutischen Praxen erheblich. Die heutige Mangelversorgung an ambulanter Psychotherapie ist auf Fehler bei der Bedarfsplanung für die Arztgruppe der Psychotherapeuten zurückzuführen, die bei anderen Arztgruppen nicht gemacht worden sind. Die Fehler betreffen vor allem die Stichtagsregelung im Rahmen der Bedarfsplanung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss.

Die BPtK schlägt deshalb für die Berechnung einer bundeseinheitlichen Verhältniszahl für Psychotherapeuten zunächst eine neue Stichtagsregelung vor. Grundlage für die Berechnung des Bedarfs soll danach der Mittelwert der psychotherapeutischen Praxen am 31. Dezember 2004 in Westdeutschland sein. Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Psychotherapeuten, die vor der Einführung des Psychotherapeutengesetzes im Delegations- oder Kostenerstattungsverfahren tätig waren, zugelassen. Durch diese Korrektur entsprächen die heute vorhandenen Praxen in etwa dem gesetzlich festgelegten Bedarf (siehe Abbildung).

„Diese Korrektur kann jedoch nur ein erster Schritt sein“, stellt BPtK-Präsident Richter fest. „Grundsätzlich brauchen wir eine Bedarfsplanung, die nicht die vorhandenen Praxen zählt, sondern auf einem tatsächlichen Versorgungsbedarf basiert.“ Das IGES Institut hat hierfür einen Bedarfsplanungsindex mit Faktoren entwickelt, die den medizinischen Versorgungsbedarf abbilden. „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung“, so Richter. „Für die psychotherapeutische Versorgung ist aber eine Anpassung dieses Indexes notwendig.“