Muttersprachliche Behandlungsangebote und Dolmetscherdienste nicht ausreichend

Unabhängige Patientenberatung veröffentlicht Monitor Patientenberatung 2015

(BPtK) Mangelndes Wissen, sprachliche Schwierigkeiten und kulturelle Einflüsse erschweren es Migranten, sich im deutschen Gesundheitssystem zurechtzufinden. Dies ist eines der Ergebnisse des Monitor Patientenberatung 2015, den die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) heute veröffentlicht hat.

Fehlende muttersprachliche Angebote beeinflussen danach immer wieder den Behandlungsverlauf. Es gebe zwar je nach Region mehr oder weniger Ärzte, die türkisch, russisch oder eine andere Sprache sprechen. Das Netzwerk der multilingualen Behandlungsangebote sei aber nicht transparent und gerade im ländlichen Bereich nicht dicht genug. Die UPD kritisiert, dass Patienten und Ärzte „ständig improvisieren“ müssten, weil auch Dolmetscherangebote nur sehr begrenzt zur Verfügung ständen. Dringend benötigt würden zudem Patienteninformationen in unterschiedlichen Sprachen. Dies betreffe evidenzbasierte Patienteninformationen und Entscheidungshilfen ebenso wie Grundlageninformationen zum deutschen Gesundheitssystem.

Als besonders kritisch bewertete die UPD den Status von Asylsuchenden und geduldeten Ausländern. Es sei eine Überforderung in der Beratung, einem Asylsuchenden mitteilen zu müssen, dass die Behandlung nur in besonders schwerwiegenden Fällen übernommen werde. Das gilt aus Sicht der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) insbesondere auch für die Behandlung von psychischen Erkrankungen mit Psychotherapie, die häufig nicht bezahlt werde. Flüchtlinge leiden jedoch häufig unter schweren psychischen Erkrankungen aufgrund von traumatischen Erlebnissen im Heimatland oder auf der Flucht, die dringend behandelt werden müssen. Deshalb fordert die BPtK seit langem eine bessere psychotherapeutische Versorgung von Flüchtlingen und insbesondere die gesicherte Finanzierung von Dolmetscherleistungen.

Um den sprachlichen, kulturellen, religiösen und soziokulturellen Besonderheiten von Menschen aus Migrantenfamilien besser gerecht zu werden, hat die UPD ein muttersprachliches interkulturelles Beratungsangebot in türkischer und russischer Sprache konzipiert und eingeführt. In Nürnberg, Dortmund, Berlin, Ludwigshafen und Stuttgart bietet sie eine kostenfreie persönliche Beratung vor Ort an. Darüber hinaus betreibt sie eine bundesweite Hotline zur kostenlosen Telefonberatung in türkischer und russischer Sprache. Im Berichtszeitraum wurden insgesamt 3.135 muttersprachliche Beratungsgespräche geführt, wobei die Beratungszahlen im russischsprachigen Bereich mit 1.891 Beratungskontakten deutlich höher liegen als die Anzahl der türkischsprachigen Beratungsgespräche mit 985 Kontakten.

KHSG: Gute Versorgung in Psychiatrie und Psychosomatik sicherstellen

BPtK fordert verbindliche Anforderungen an die Personalausstattung

(BPtK) Die stationäre Versorgung psychisch kranker Menschen muss dringend verbessert werden. „Die psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhäuser verfügen schon lange nicht mehr über ausreichendes Personal, um eine gute Versorgung anbieten zu können.“, kritisiert Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) anlässlich der heutigen Anhörung zum Krankenhaus-Strukturgesetz (KHSG). „Die Anforderungen der Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV), die vor fast 25 Jahren entwickelt wurden, sind seit Langem überholt und bilden vor allem den psychotherapeutischen Behandlungsbedarf, wie ihn moderne Behandlungsleitlinien beschreiben, nicht ab.“

„Dabei werden selbst die Personalanforderungen der veralteten Psych-PV schon lange nicht mehr erfüllt“, stellt der BPtK-Präsident fest. Der Erfüllungsgrad liege bundesweit bei durchschnittlich 90 Prozent in der Erwachsenenpsychiatrie, allerdings mit großen Unterschieden zwischen den Einrichtungen. „Bei fast einem Drittel der Krankenhäuser liegt er sogar unter 85 Prozent. In den Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist die Situation noch schlechter – hier werden die Personalstandards in fast der Hälfte (45 Prozent) der Einrichtungen um über 25 Prozent unterschritten.“ Das hat mehrere Gründe. Neben Budgetdeckelungen bei gleichzeitig steigenden Lohnkosten, sind Zweckentfremdungen der Mittel zur Quersubventionierung anderer Abteilungen oder für anstehende Krankenhausinvestitionen an der Tagesordnung.

„Wir brauchen verbindliche Mindestanforderungen an die Personalausstattung, die transparent und überprüfbar sind“, fordert BPtK-Präsident Munz. Dafür erarbeitet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) gerade Personalstandards. „Im KHSG muss klargestellt werden, dass die vom G-BA zu erarbeitenden Personalstandards nicht nur Empfehlungscharakter haben, sondern verbindlich sind.“ Die Politik sollte dafür Sorge tragen, dass in der stationären Versorgung psychisch kranker Menschen endlich eine solide Personalbasis sichergestellt wird, erklärt Munz.

Der G-BA hat den Auftrag erhalten, bis zum 1. Januar 2017 Anforderungen an die Personalausstattung für Psychiatrie und Psychosomatik zu erarbeiten. Diese Personalanforderungen sollen die veraltete Psych-PV, die zum 1. Januar 2019 ihre Gültigkeit verliert, ersetzen. Umstritten ist derzeit jedoch noch, wie verbindlich diese Personalanforderungen werden sollen.

Novellierung des Unterbringungsrechts für psychisch kranke Straftäter

BPtK für höhere Anforderungen an externe Gutachter

(BPtK) Die Bundesregierung plant eine Reform des Unterbringungsrechts. Bei der Unterbringung psychisch kranker oder suchtkranker Straftäter in psychiatrischen Krankenhäusern (Maßregelvollzug/forensische Psychiatrie) war insbesondere auch die Qualität der Sachverständigengutachten, wie z. B. im Fall Mollath, in die öffentliche Kritik geraten. Die Bundespsychotherapeutenkammer hält die Anforderungen an externe Sachverständige, wie sie jetzt der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vorsieht, noch nicht für ausreichend.

Bei einer Unterbringung für psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter geht es im Gerichtsverfahren um die Beantwortung der Frage von Schuldfähigkeit (§ 20 StGB), verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) oder um eine Prognose zur Gefährlichkeit aufgrund der psychischen Erkrankung des Angeklagten durch einen Gutachter. Dabei ist heilkundliches Wissen zur Diagnostik und Behandlung psychischer Erkrankungen unabdingbar. Nur so kann sichergestellt werden, dass die entsprechende Fachkenntnis zur umfassenden Beschreibung und Analyse der Auswirkungen vorliegt, die die Erkrankung auf die Entwicklung einer Person, ihrer Verhaltensmuster und der aufrechterhaltenden Bedingungen delinquenter Verhaltensweisen hat. Die genannten Fachkenntnisse können bei Psychologischen Psychotherapeuten oder Fachärzten für Psychiatrie oder Psychosomatische Medizin und Psychotherapie vorausgesetzt werden und nicht, wie im Gesetz auch genannt, bei Rechtspsychologen ohne Approbation. Die BPtK schlägt deshalb vor, als Sachverständige nur Psychologische Psychotherapeuten oder Fachärzte für Psychiatrie bzw. Psychosomatische Medizin zuzulassen, die zusätzlich über ausreichend Erfahrung in der forensischen Psychiatrie sowie entsprechende Fachkenntnisse in der Gutachtenerstellung verfügen.

Zusätzlich hat die BPtK zu der Frage Stellung genommen, ob die Unterbringung suchtkranker Straftäter in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) auch dann möglich sein soll, wenn die Behandlung voraussichtlich länger als zwei Jahre dauert. Die BPtK hält dies für sinnvoll, weil eine Suchterkrankung bei Straftätern häufig mit komorbiden Persönlichkeitsstörungen und erschwerenden sozialen Faktoren einhergeht, die häufig eine Behandlungsdauer von über zwei Jahre erfordern. Die Erfolgsaussicht einer Behandlung kann außerdem besser im Behandlungsverlauf als zum Zeitpunkt der Entscheidung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt beurteilt werden. In wissenschaftlichen Untersuchungen konnten bisher keine validen prognostischen Kriterien zur Prognose des Behandlungsverlaufs in einer Entziehungsanstalt gefunden werden.

Der vorgelegte Gesetzentwurf sieht außerdem eine stärkere Fokussierung der Unterbringung in der forensischen Psychiatrie auf gravierende Fälle, eine zeitliche Begrenzung der Unterbringung bei weniger schwerwiegenden Fällen sowie eine Konkretisierung der Anforderungen an die Fortdauer der Unterbringung vor. Externe Gutachten, mit denen eine Unterbringung verlängert wird, sollen zukünftig alle drei Jahre und nicht mehr nur alle fünf Jahre erfolgen. Diese Qualitätssicherung durch einen Blick von außen ist aus Sicht der BPtK positiv zu bewerten. Mit der Vorlage des Kabinettsentwurfs ist im Herbst 2015 zu rechnen.

Literatur:

Kemper, A. (2008). Fehleinweisungen in die Entziehungsanstalt. Recht & Psychiatrie 26, 15-26.

Lindemann, V. et al. (2013). Psychiatrische Prognosen für den Behandlungserfolg in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB). Forensische Psychiatrie und Psychotherapie 20 (2), 37-63.

Querengässer, J. et al. (2015). Outcomeprädiktoren forensischer Suchtbehandlungen. Recht & Psychiatrie 33, 34-41.

Schalast, N. et al. (2009). Zur Prognose des Behandlungsverlaufs bei strafrechtlicher Unterbringung in der Entziehungsanstalt. Sucht 55 (1), 19-29.

G-BA flexibilisiert die Regelungen zur Gruppentherapie

Kombination von Einzel- und Gruppentherapie generell möglich

(BPtK) Zukünftig ist die Kombination von Einzel- und Gruppentherapie in allen drei Psychotherapieverfahren zulässig. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschloss dafür am 16. Juli 2015 eine Änderung der Psychotherapie-Richtlinie. Nun kann die Gruppenpsychotherapie auch in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie und der analytischen Psychotherapie flexibler eingesetzt werden. Dies hatte die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) seit Jahren gefordert.

Einzel- und Gruppentherapie sind häufig in Kombination notwendig. So benötigen Patienten, deren psychische Erkrankungen grundsätzlich gut mit einer Gruppentherapie behandelt werden können, häufig zusätzlich eine Einzeltherapie, um einzelne Probleme gesondert zu bearbeiten. Umgekehrt bedürfen aber auch Patienten in Einzeltherapie oft einer ergänzenden Gruppentherapie. In der stationären Versorgung ist die Kombination von Einzel- und Gruppentherapie für viele Erkrankungen der Standard. In der ambulanten Versorgung behinderte die Psychotherapie-Richtlinie bislang jedoch einen flexiblen Einsatz beider Therapieformen.

Dies gilt beispielsweise für die Behandlung von Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. In der stationären Versorgung werden Einzel- und Gruppentherapie für diese Patienten in der Regel als Kombinationsbehandlung angeboten. In der ambulanten Versorgung reichten dafür jedoch die Stundenkontingente bisher nicht aus. In der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie sowie der analytischen Psychotherapie war die Kombinationsbehandlung sogar grundsätzlich unzulässig. Nur in Einzelfällen waren Ausnahmen möglich. Mit der Änderung der Psychotherapie-Richtlinie wird dieses strukturelle Hindernis für die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die analytische Psychotherapie jetzt beseitigt.

Darüber hinaus regelt die Psychotherapie-Richtlinie künftig explizit den Fall, dass Einzel- und Gruppentherapie bei verschiedenen Psychotherapeuten durchgeführt werden. Die behandelnden Psychotherapeuten sind dann gehalten, den Behandlungsplan miteinander abzustimmen und, soweit erforderlich, sich im Verlauf der Behandlung regelmäßig auszutauschen. Der Patient muss dieser Zusammenarbeit allerdings zustimmen und die Psychotherapeuten von der Schweigepflicht entbinden.

Die Änderung der Psychotherapie-Richtlinie ist auch deshalb wichtig, weil der Gesetzgeber im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz beschlossen hat, eine psychotherapeutische Sprechstunde einzurichten und die Gruppentherapie zu fördern. Dadurch kann die Kombination von Einzel- und Gruppentherapie in der ambulanten Versorgung zukünftig an Bedeutung gewinnen. Bislang machen dort gruppentherapeutische Leistungen weniger als zwei Prozent der genehmigungspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen aus. Damit wird das Versorgungspotenzial der Gruppentherapie nicht ausreichend ausgeschöpft.

Für Dolmetscher und Kulturmittler

BPtK ist Mitgründer der Initiative „Sprachmittlung im Gesundheitswesen“

(BPtK) Die Versorgung fremdsprachiger Patienten stößt im deutschen Gesundheitssystem immer noch an enge Grenzen. Fehlende sprachliche Verständigungsmöglichkeit, aber auch kulturelle und religiöse Unterschiede und dadurch aufkommende Missverständnisse gefährden zu häufig eine fachgerechte Aufklärung, Diagnostik und Behandlung von Migranten und insbesondere Asylsuchenden. Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) gehört deshalb zu den Gründungsmitgliedern der Initiative „Sprachmittlung im Gesundheitswesen“, die sich heute der Öffentlichkeit vorstellt. Die Initiative fordert den Einsatz von professionellen und qualifizierten Dolmetschern sowie Sprach- und Integrationsmittlern im deutschen Gesundheitswesen.

Die Initiative wurden ins Leben gerufen vom:

  • Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer e.V. (BDÜ) und der
  • Internationalen Gesellschaft für Bildung, Kultur und Partizipation gemeinnützige GmbH (bikup).

Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankungen nimmt weiter zu

BKK legt „Gesundheitsatlas 2015 – Blickpunkt Psyche“ vor

(BPtK) Psychische Erkrankungen gehören bei den rund 9,3 Millionen Versicherten der Betriebskrankenkassen (BKK) weiterhin zu den häufigsten Erkrankungen. Bei über 30 Prozent der BKK-Versicherten wurde 2013 eine psychische Störung diagnostiziert – bei Frauen (35,7 Prozent) deutlich häufiger als bei Männern (26,1 Prozent), bei Arbeitslosen (32,2 Prozent) häufiger als bei Beschäftigten (27,0 Prozent). Bei 9,5 Prozent wurde eine depressive Störung und bei 2,6 Prozent eine rezidivierende depressive Störung diagnostiziert. Depressionsdiagnosen waren besonders häufig bei Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung, Sozialversicherung und Gesundheits- und Sozialwesen. Antidepressiva wurden in Ostdeutschland erheblich weniger verschrieben als in Westdeutschland. So wurden in Straubing (Bayern) mehr als 2,5-mal so häufig Antidepressiva verordnet wie in Meißen (Sachsen). Das sind die zentralen Ergebnisse des „Gesundheitsatlas 2015 – Blickpunkt Psyche“, den der BKK-Bundesverband in Berlin veröffentlichte.

Arbeitsunfähigkeit

Auch die Anzahl der Tage, die BKK-Versicherte aufgrund von psychischen Erkrankungen arbeitsunfähig geschrieben waren (AU-Tage), nahmen weiter zu. Rund 15 Prozent aller AU-Tage waren 2013 psychisch bedingt. Die Krankschreibungen dauerten durchschnittlich circa 40 Tage. Bei Depressionen fielen die Beschäftigten sogar 58 Tage aus. Keine andere Erkrankung (Krebserkrankungen, Kreislauf, Muskel-Skelett) führte zu so langen Ausfällen in den Unternehmen. Vor allem Beschäftigte in Hamburg, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen fehlten überdurchschnittlich häufig aufgrund von Depressionen. Die meisten Krankschreibungen wegen Depressionen (F32) erfolgten bei der Hälfte der AU-Tage (49,3 Prozent) aufgrund unspezifischer Diagnosen (F32.9).

Prävalenz- und Diagnosedaten

Der BKK-Dachverband nutzte die Expertise von Prof. Dr. Frank Jacobi (Psychologische Hochschule Berlin), um die BKK-Abrechnungsdaten mit Studien zur Häufigkeit psychischer Erkrankungen in Deutschland (Bundes-Gesundheitssurvey 1998 und DEGS1 2012) zu vergleichen.

Nach den epidemiologischen Studien nehmen psychische Erkrankungen nicht zu. Danach erkrankt weiterhin ungefähr jeder dritte Erwachsenen innerhalb eines Jahres an einem seelischen Leiden (BGS: 31,1 Prozent, DEGS: 30,1 Prozent). Seit Ende der 1990er Jahre des letzten Jahrhunderts ist keine generelle Zunahme der psychischen Störungen festzustellen. Dagegen haben die diagnostizierten psychischen Erkrankungen bei den BKK-Versicherten deutlich zugenommen: von 21,4 Prozent (2009) auf 30,5 Prozent (2013). Beide Häufigkeiten haben sich damit über die Jahre angenähert. Insbesondere bei Depressionen haben die Diagnose- die Prävalenzdaten sogar schon knapp überholt.

Der Anstieg der diagnostizierten psychischen Erkrankungen ist nach Jacobi unter anderem damit zu erklären, dass in der Vergangenheit längst nicht alle psychisch Kranke einen Arzt oder Psychotherapeuten konsultiert hatten. Aufgrund einer geringeren Stigmatisierung psychisch Kranker und einer besseren ambulanten Versorgung erhielten inzwischen mehr Patienten eine Behandlung. Jacobi geht davon aus, dass zurzeit psychische Erkrankungen sowohl überdiagnostiziert als auch weiterhin häufig nicht erkannt werden. Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung blieben Diagnosen länger in den Krankenakten, auch wenn die Betroffenen bereits wieder gesund seien. Auch könne der hohe Anteil unspezifischer Diagnosen dazu führen, dass der Anteil psychischer Erkrankungen überschätzt werde. Andere psychische Erkrankungen würden dagegen häufig nicht ausreichend diagnostiziert und behandelt. Nach wie vor sei von einem „Versorgungsmissstand“ bei schweren psychischen Erkrankungen auszugehen.

Krankenhaus-Strukturgesetz für bessere stationäre Versorgung psychisch Kranker nutzen

BPtK fordert Ergänzungen zum PEPP

(BPtK) Die Bundespsychotherapeutenkammer fordert, das Krankenhaus-Strukturgesetz (KHSG) stärker zu nutzen, um die stationäre Versorgung psychisch kranker Menschen zu verbessern. Der Gesetzgeber sollte dafür sorgen, dass mit der Umsetzung des pauschalierenden Entgeltsystems für Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) ausreichend Personal für eine leitliniengerechte Behandlung in den Krankenhäusern zur Verfügung steht und finanziert wird. „Um eine qualitätsorientierte stationäre Versorgung psychisch kranker Menschen sicherzustellen, sollte der Gesetzgeber jetzt handeln“, erläutert BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz. „Die verbindliche Einführung des PEPP wurde um zwei Jahre verschoben, um Alternativen zum PEPP zu suchen. Bisher liegen keine realisierbaren Vorschläge auf dem Tisch. Bei der Finanzierung auf Basis der überholten Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) zu bleiben, ist keine Lösung für die bestehenden Versorgungsdefizite in der stationären psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung.“

„Es ist an der Zeit, durch ergänzende Regelungen dafür Sorge zu tragen, dass zukünftig eine Krankenhausversorgung gemäß dem „State of the Art“ garantiert und finanziert wird“, fordert BPtK-Präsident Munz anlässlich der ersten Lesung des KHSG am 2. Juli im Bundestag. Die Personalstandards der Psych-PV würden chronisch unterschritten. Die Erwachsenenpsychiatrie erfülle sie nur noch zu 90 Prozent, in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sei der Personalmangel noch größer. Transparenz über die Verwendung der verhandelten Mittel und die durchgeführten Leistungen gebe es nicht. „Das geht unmittelbar zulasten der psychisch kranken Menschen in den Kliniken“, stellt Munz fest. „Doch selbst die vollständige Erfüllung einer Personalausstattung gemäß Psych-PV reicht für eine leitlinienorientierte stationäre Behandlung psychisch kranker Menschen nicht mehr aus. Heute sind eine wesentlich kritischere Pharmako- und deutlich mehr Psychotherapie erforderlich. Die Psych-PV berücksichtigt außerdem settingübergreifende Behandlungsansätze nicht.“

Aus Sicht der BPtK ist mit dem PEPP eine qualitätsorientierte Weiterentwicklung von Psychiatrie und Psychosomatik möglich, wenn es um weitere Systemelemente ergänzt wird. Hierzu gehören vor allem verbindliche Anforderungen an die Personalausstattung und deren ausreichende Finanzierung. Das KHSG sollte Zuschläge für die Umsetzung angemessener Personalstandards sowie für die regionale Versorgungsverpflichtung der psychiatrischen Einrichtungen vorsehen.

Unabhängige Patientenberatung gefährdet

BPtK kritisiert, dass zukünftiger Dienstleister auch für Krankenkassen arbeitet

(BPtK) Die Bundespsychotherapeutenkammer sieht die bisher unabhängige Patientenberatung gefährdet. Künftig soll ein neuer Dienstleister die unabhängige Information und Beratung der Patienten im deutschen Gesundheitssystem übernehmen und sich ihrer Beschwerden annehmen. Dieser Dienstleister arbeitet nach eigenen Angaben bereits für gesetzliche Krankenkassen, z. B. AOK Plus, AOK Sachsen-Anhalt und BARMER GEK. Auf seiner Internetseite beschreibt er auch den Geschäftsbereich „Versorgungsmanagement durch Patienten Coaching“. Ziel dieses Geschäftsbereich sei u. a. die „Vermeidung von Krankengeldzahlungen“, z. B. bei Depressionen. Gerade das Krankengeldmanagement war häufig Gegenstand der Patientenanfragen bei der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland.

„Zukünftig könnte es passieren, dass sich Versicherte bei einem Dienstleister über ihre Krankenkasse beschweren, für die dieser auch Patientencoaching durchführt“, kritisiert BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz die geplante Entscheidung des GKV-Spitzenverbandes. „Ein unabhängiges Informations- und Beratungsangebot ist so nicht gewährleistet.“

Frauen mit Behinderungen stärken: www.suse-hilft.de

Online-Plattform sucht Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten

(BPtK) Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind überdurchschnittlich häufig von Gewalt betroffen. Etwa jede zweite Frau mit Behinderung erlebt sexualisierte Gewalt in Kindheit, Jugend oder als Erwachsene. Fast doppelt so häufig wie nichtbehinderte erfahren behinderte Frauen körperliche und psychische Gewalt. Besonders betroffen sind gehörlose Frauen, Frauen, die in Behinderteneinrichtungen leben, und Frauen mit Lernschwierigkeiten oder „geistigen Behinderungen“. Bisher erreicht sie jedoch noch viel zu selten die Unterstützung durch Anti-Gewalt-Arbeit und Therapie. Beratungsstellen und Praxen sind vielfach nicht barrierefrei und oft fehlt das Wissen über Beratungsmöglichkeiten und Therapie.

Das Projekt „Suse – sicher und selbstbestimmt. Frauen und Mädchen mit Behinderungen stärken“ vom bff: Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe – Frauen gegen Gewalt e.V. klärt über Gewalt an Frauen und Mädchen mit Behinderungen auf und zeigt Möglichkeiten, sich Hilfe zu holen. Das Projekt läuft seit Januar 2014 und wird noch bis Ende 2016 von der Aktion Mensch und der Heidehof-Stiftung gefördert.

Wichtiger Bestandteil von „Suse“ ist die neue Online-Plattform www.suse-hilft.de, die im Juli online gehen soll. Dort können Betroffene und ihre Unterstützer Adressen, Anlaufstellen und Hintergrundinformationen kostenlos und barrierefrei recherchieren.

Für die Datenbank auf www.suse-hilft.de werden Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gesucht, die in ihrer Arbeit derzeit schon einen besonderen Fokus auf das Thema Behinderung und/oder Gewalt legen oder künftig stärker in diesem Bereich tätig werden möchten. Auch Psychotherapeuten, die bisher keine Erfahrungen mit dem Thema Behinderung gemacht haben, können sich in die Datenbank eintragen lassen. Praxisräume müssen nicht zwingend barrierefrei sein, aber Informationen hierzu sind willkommen, zum Beispiel ob die Praxis eingeschränkt oder voll für Rollstuhlfahrer/innen zugänglich ist. Darüber hinaus werden Psychotherapeuten mit Gebärdensprachkompetenz und Kenntnissen der Leichten Sprache gesucht. Vertragspsychotherapeuten sowie Psychotherapeuten in Privatpraxen können sich in die deutschlandweite Adressdatenbank aufnehmen lassen.

Interessierte Psychotherapeuten werden gebeten, eine kurze E-Mail mit ihren Kontaktdaten und Angaben zum Leistungsspektrum (Psychotherapieverfahren, Leistungen für Kinder/Jugendliche und/oder Erwachsene, Kassenzulassung oder Privatpraxis) an suse@bv-bff.de zu schicken. Die Angebote werden dann auf der Seite www.suse-hilft.de veröffentlicht.

Mehr Informationen zum Projekt Suse unter www.frauen-gegen-gewalt.de und https://www.frauen-gegen-gewalt.de/projekt-suse.html.

Psychotherapie: Krankenkassen verzögern und informieren falsch

BPtK kritisiert bürokratische Tricks bei der Kostenerstattung

(BPtK) Die Bundespsychotherapeutenkammer kritisiert, dass gesetzliche Krankenkassen ihre Versicherten falsch informieren, wenn sie sich in psychotherapeutischen Privatpraxen behandeln lassen wollen. „Manche Krankenkassen muten psychisch kranken Menschen immer höhere Hürden zu, wenn sie dringend eine Psychotherapie benötigen“, kritisiert BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz. „Sie lassen sich inzwischen eine Menge bürokratischer Tricks einfallen, um eine notwendige und unaufschiebbare Behandlung in einer psychotherapeutischen Privatpraxis und die Abrechnung über Kostenerstattung zu erschweren. Sie verzögern Anträge und geben falsche Auskünfte.“ Eine solche Behandlung ist aber für Patienten oft der einzige Weg, die unzumutbar langen Wartezeiten auf eine psychotherapeutische Behandlung zu vermeiden.

„Krankenkassen bürden ihren Versicherten nicht nur ein aufwendiges Antragsverfahren auf, sondern ziehen das Verfahren zusätzlich in die Länge. Psychisch kranke Menschen sind damit meist überfordert“, stellt BPtK-Präsident Munz fest. „Das ist ein zynisches Taktieren mit den Schwächen ihrer Versicherten.“ Versicherte, die ablehnende Bescheide bekommen, können sich beim Bundesversicherungsamt und beim Patientenbeauftragten der Bundesregierung über ihre gesetzliche Krankenkasse beschweren, was häufig auch zu empfehlen ist.

Versicherte bekommen Auskünfte, in denen die Krankenkasse mitteilt: „Wir zahlen grundsätzlich keine Therapie mehr im Kostenerstattungsverfahren.“ Oder für eine solche Psychotherapie sei „eine besondere Schwere“ der Erkrankung notwendig. Oder Wartezeiten von „sechs Monaten“ müssten hingenommen werden. Oder Versicherte bekommen freie Behandlungsplätze bei einem Psychotherapeuten genannt, der aber auf Nachfrage monatelange Wartezeiten hat. Oder Anträge werden grundsätzlich abgelehnt und erst bei Widerspruch genehmigt. Oder die Versicherten müssen immer mehr Anfragen bei Psychotherapeuten nachweisen, bei denen keine freien Behandlungsplätze verfügbar sind.

Die BPtK stellt klar: Grundsätzlich ist es Aufgabe der Krankenkassen, rechtzeitig für eine notwendige und unaufschiebbare Behandlung ihrer Versicherten zu sorgen. Ist die Krankenkasse dazu nicht in der Lage, kann der Versicherte sich eine Leistung selbst beschaffen und die Kasse muss die Ausgaben dafür erstatten. Eine solche Leistung kann eine psychotherapeutische Behandlung in einer Privatpraxis sein.

Die BPtK empfiehlt dringend, den Antrag auf eine Behandlung in einer psychotherapeutischen Privatpraxis und auf Kostenerstattung vor der Behandlung an die Krankenkasse einzureichen. Diesem Antrag sollte beigefügt werden:

  • die Bescheinigung eines Hausarztes, dass eine psychotherapeutische Behandlung notwendig und unaufschiebbar ist,
  • eine Liste mit den Namen von drei bis fünf Psychotherapeuten mit Kassenzulassung, die der Versicherte angerufen hat und die kurzfristig keine freien Behandlungsplätze haben (dazu die Wartezeiten notieren),
  • die Bescheinigung eines Psychotherapeuten in Privatpraxis, dass die Behandlung kurzfristig übernommen werden kann.

Zu den Fristen, die eine Krankenkasse einhalten muss:

  • Grundsätzlich hat eine Krankenkasse drei Wochen Zeit, um über einen Antrag zu entscheiden.
  • Hält sie eine gutachterliche Stellungnahme für notwendig, muss sie erst fünf Wochen nach Antragseingang entscheiden.
  • Gegen eine Ablehnung kann der Versicherte Widerspruch einlegen. Die Krankenkasse hat drei Monate Zeit, über einen Widerspruch zu entscheiden.
  • Danach bleibt nur noch die Klage beim Sozialgericht, die sich noch viel länger hinziehen kann