„So viel Familienleben war selten“

Erfahrungsbericht 3: Sabine Bittner, Leiterin der Familien- und Schulberatung in Herne

(BPtK) Die Stadt Herne beugte vor: Ab sofort hatten die städtischen Mitarbeiter*innen aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr durch den Coronavirus die direkten Kontakte mit Bürger*innen auf das Notwendige zu beschränken. Für die Familien- und Schulberatung der Stadt Herne hieß dies: Keine Beratung mehr im unmittelbaren Gegenüber. „Wir mussten unsere Beratungen grundlegend anders anbieten“, berichtet Sabine Bittner, die Leiterin. Alle Mitarbeiter*innen riefen zunächst die Familien an, mit denen sie in Kontakt standen, um die verabredeten Termine abzusagen und stattdessen eine telefonische Beratung anzubieten. „Keine Familie sollte mit ihren Schwierigkeiten alleine bleiben“, gab Sabine Bittner als Losung aus. Viele Eltern oder Jugendliche waren darüber ebenso überrascht wie erfreut. Endlich mal einer, der sie weiter im Blick hatte.

Denn nicht wenige fühlen sich inzwischen in ihren Wohnungen vergessen. Viele Eltern und Jugendliche sind zwar grundsätzlich einverstanden mit dem drastischen Gesundheitsschutz, der so viele gravierende Einschränkungen des alltäglichen Lebens mit sich bringt. Doch der Beratungsbedarf ist dadurch eher größer als kleiner geworden. Viele Eltern sind ohne Arbeit, weil ihr Betrieb geschlossen wurde, oder sie arbeiten von zu Hause aus. Gleichzeitig sind Kitas und Schulen geschlossen und die Kinder den ganzen langen Tag zu Hause. „So viel Familienleben war selten“, stellt die Leiterin der Herner Beratungsstelle fest, „aber auch damit müssen Eltern und Kinder erst einmal zurechtkommen.“

„Ein besonderes Problem sind die Hausaufgaben, die nicht selten Kinder wie Eltern überfordern“, berichtet Sabine Bittner, die als Psychologische Psychotherapeutin ausgebildet ist. Auch viele Eltern haben die gewohnte Tagesstruktur verloren oder sind zutiefst beunruhigt, weil sie sich existenzielle Sorgen machen. In einer solchen Ausnahmesituation ist nicht immer einfach, auch noch den ganzen Tag die Kinder zu betreuen und ihnen bei den Hausaufgaben zu helfen. „Die Hausaufgaben sind nicht selten zu schwierig“, berichtet die Leiterin der Familien- und Schulberatung. Die Jugendlichen können sich häufig den neuen Stoff nicht selbst erschließen und auch die Eltern wissen nicht immer weiter. Manche Jugendliche beginnen nach kurzer Zeit, die Schule zu vermissen, selbst wenn sie vorher nicht zu den eifrigsten Schüler*innen gehörten.

„Überall in den Familien herrscht verständlicherweise ein großes Experimentieren und Improvisieren“, schildert Psychotherapeutin Sabine Bittner den Prozess, in dem sich die Familien neu organisieren und ihren Alltag anpassen: „Ich zolle den Eltern erst einmal Respekt. Die Herausforderungen durch die Coronakrise sind keineswegs leicht zu meistern. Da ist Geduld nötig, damit in den Familien jeder für sich wieder das rechte Maß an Nähe und Distanz, Struktur und Halt findet.“ Sabine Bittner rät manchen Eltern, die Ansprüche bei der Bewältigung der Hausaufgaben herunterzuschrauben. „Eltern sind keine Lehrer*innen. Nebenher zu unterrichten kann schnell überfordern.“

Die telefonische Beratung klappt inzwischen besser als gedacht. Die Familien- und Schulberatung Herne macht jetzt Termine für längere Beratungsgespräche und bietet telefonische Erstgespräche an. „Vieles lässt sich auch am Telefon gut besprechen“, fasst Sabine Bittner die ersten Erfahrungen zusammen. „Dass wir weiter Kontakte und Gespräche ermöglichen, nehmen die allermeisten Eltern und Jugendlichen erfreut und dankbar an.“ Seit dem 25. März hat die Herner Beratungsstelle eine „Familienhotline“, unter der sich Eltern, Kinder und Jugendliche melden können, um über Spannungen und Probleme zu sprechen. Allerdings fällt auch manches weg, insbesondere für Familien, deren Kinder aufgrund einer seelischen Behinderung besondere Hilfen bekommen. „Diese Hilfen sind oft nicht mehr möglich“, bedauert Sabine Bittner. „Das heißt aber nicht, dass wir nicht versuchen, die Eltern weiter zu unterstützen und ihnen in dieser schwierigen Zeit beizustehen.“

Qualifikationsanforderungen für Systemische Therapie geregelt

Fachkunde kann ab sofort im Arztregister eingetragen werden

(BPtK) Der Gemeinsame Bundesausschusses (G-BA) hatte am 22. November 2019 die Systemische Therapie als weiteres Psychotherapieverfahren zugelassen. Seit dem 1. März 2020 stehen auch die Qualifikationsanforderungen fest, die notwendig sind, um die Systemische Therapie bei Erwachsenen abrechnen zu können. Für die Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenkassen fehlen damit nur noch die Abrechnungsziffern im EBM. Der Bewertungsausschuss wird sie voraussichtlich bis zum 1. Juli 2020 beschließen und in Kraft setzen. Die Fachkunde in Systemischer Therapie kann bereits jetzt in das Arztregister bei der Kassenärztlichen Vereinigung eingetragen werden. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen können derzeit keine Abrechnungsgenehmigung beantragen, da die Systemische Therapie für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen vom G-BA noch nicht anerkannt ist.

Nach der Psychotherapie-Vereinbarung ist für den Fachkunde-Nachweis in Systemischer Therapie erforderlich:

  1. eine Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeut*in mit dem Vertiefungsverfahren Systemische Therapie
    oder
  2. ein Fachkundenachweis in analytischer Psychotherapie, tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie oder Verhaltenstherapie und zusätzlich die Berechtigung zum Führen der Zusatzbezeichnung Systemische Therapie.

Letztere Berechtigung ist durch ein Weiterbildungszertifikat der jeweiligen Landespsychotherapeutenkammer nachzuweisen. Wenn die Weiterbildungsordnung der Landespsychotherapeutenkammer keine Zusatzweiterbildung in Systemischer Therapie vorsieht, kann diese Kammer übergangsweise bis zum 30. Juni 2026 bescheinigen, dass eine Gleichwertigkeit der Nachweise gemäß der Muster-Weiterbildungsordnung der Bundespsychotherapeutenkammer besteht.

Corona: Wie lassen sich Honorarausfälle adäquat ausgleichen?

BPtK begrüßt Krankenhausentlastungsgesetz

(BPtK) Der Deutsche Bundestag hat am 25. März mit dem COVID-19-Krankenhausent­lastungsgesetz auch einen finanziellen Schutzschirm für Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen beschlossen. Danach können Honorarausfälle infolge der Corona-Pandemie ausgeglichen werden, wenn sich das Gesamthonorar einer Praxis gegenüber dem Vorjahresquartal um mehr als 10 Prozent verringert. „Viele unserer Patient*innen setzen ihre Behandlungen vorübergehend aus, weil für sie das Ansteckungsrisiko zu groß ist. Dies kann dazu führen, dass ein großer Teil der Einnahmen einer Praxis wegfällt“, erklärt Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). „Deshalb sind die Ausgleichsregelungen eine wichtige Unterstützung für all unsere Kolleg*innen, die während der Coronakrise die Versorgung psychisch kranker Menschen sicherstellen.“

Das Krankenhausentlastungsgesetz knüpft die Ausgleichzahlungen jedoch an den Rückgang der Anzahl der Patient*innen, die innerhalb eines Quartals in einer psychotherapeutischen Praxis versorgt werden („Fallzahl“). „Psychotherapeut*innen haben aber vor allem Honorarausfälle, weil Patient*innen in laufenden Behandlungen Termine absagen“, erläutert BPtK-Präsident Munz. „Dadurch verringert sich nicht unbedingt die Fallzahl je Quartal, sondern vor allem der Umfang der Leistungen, die je Patient*in erbracht werden (‚Fallwert‘). Wenn eine Patient*in nicht mehr wöchentlich, sondern nur noch einmal im Quartal kommt, verändert dies die „Fallzahl“ nicht. Trotzdem fallen 90 Prozent der reservierten Termine aus. Unsere Kolleg*innen sichern außerdem gerade bei älteren und gesundheitlich gefährdeten Patient*innen die Versorgung per Telefon. Dieser Einsatz wird aber aktuell nicht bezahlt.“

Die BPtK hatte im Gesetzgebungsverfahren schon auf die Besonderheiten in der psychotherapeutischen Versorgung hingewiesen. Aufgrund des Schnellverfahrens konnten diese berufsgruppenspezifischen Aspekte jedoch nicht in den Ausgleichregelungen berücksichtigt werden. „Wir gehen aber davon aus, dass mit einem der nächsten Gesetze die notwendige Nachbesserung erfolgen“, stellt Munz fest.

„Der Schutzraum der Praxis fehlt“

Erfahrungsbericht 2: Dr. Natalia Erazo, Praxis für Psychotherapie und Psychoanalyse

(BPtK) Die Bundespsychotherapeutenkammer setzt die Serie mit Berichten von Psychotherapeut*innen aus dem Alltag der Coronakrise fort. Heute beschreibt die niedergelassene Psychotherapeutin Dr. Natalia Erazo ihre ersten Erfahrungen mit der Videobehandlung.

„Der Schutzraum der Praxis fehlte. Die Patientin saß in ihrem Wohnzimmer. Die Leitung für das Online-Videogespräch stand und die Kamera der Patientin war eingerichtet. Der Ton rauschte zwar noch, aber das war auf die Schnelle nicht zu ändern. Aber etwas anderes fiel mir in diesem Moment erst auf“, erinnert sich Psychotherapeutin Dr. Natalia Erazo. Unübersehbar war, dass sich die Patientin in ihrer privaten Umgebung befand, nicht in der Praxis. „Das war doch eine Veränderung in der Behandlung, die nicht unerheblich ist“, erklärt Natalia Erazo. Die Praxis ist der besondere Raum für die psychotherapeutischen Gespräche. Das beinhaltet an die Patient*in auch die Botschaft: „Wir können hier persönlichere Gespräche führen als irgendwo sonst und die Psychotherapeutin, die Ihnen gegenübersitzt, passt auf Sie auf, wenn Sie sich öffnen und von Dingen erzählen, die Sie schmerzen, beschämen oder tief traurig machen.“ Wenn die Patient*in die Praxis kommt, betritt sie einen Raum, der für sie nicht alltäglich ist, in dem Besonderes möglich ist und den sie dann bis zum nächsten Gespräch zurücklassen darf. Und dieses Potenzial hat das Wohnzimmer der Patient*in nur eingeschränkt, die Patient*in bleibt allein in ihrem Raum, wenn wir uns aus dem Gespräch ausloggen.

Doch außergewöhnliche Situationen verlangen auch ungewohnte Lösungen. Die Corona-Pandemie gebietet vor allem große Vorsicht. Das Virus ist außergewöhnlich ansteckend und einige Patient*innen ziehen es deshalb vor, die psychotherapeutische Behandlung erst einmal über das Internet fortzuführen: per Videotelefonat, bei dem man sich nicht nur hört, sondern auch sieht. Und diese Technik, die gerade auch in die psychotherapeutische Praxen Einzug hält, ermöglicht etwas, das die Nachteile aufwiegt: „Ich kann weiter für die Patient*in da sein. Die Behandlung kann fortgesetzt werden, sie muss nicht abgebrochen werden“, hebt Psychotherapeutin Erazo hervor. „Diese Kontinuität ist ein großer stabilisierender Faktor.“

Aber auch die Videobehandlungen verlangen Ruhe und Ungestörtheit. Das ist nicht immer der Fall. Eine andere Patientin hatte sich für die Behandlung ins Auto gesetzt, weil in der Wohnung zu viel los war. Auch Homeoffice und geschlossene Kitas und Schulen verlangen häufig besonderen Einfallsreichtum.

Die Erfahrungen, die Natalia Erazo mit Behandlungen in der Coronakrise gemacht hat, sind grundsätzlich besser als zunächst gedacht: Ihre Patient*innen haben jetzt handfeste Alltagsprobleme. Sie sind mit existenziellen Ängsten beschäftigt, zum Beispiel mit Befürchtungen entlassen zu werden oder mit Sorgen um Großeltern, die der Virus das Leben kosten kann. Doch diese neuen Herausforderungen des Alltags relativieren auch das persönliche psychische Leiden. „Die Coronakrise hat überraschend auch die Eigenschaft zu stützen“, berichtet Erazo. „Das psychische Leid rückt bei manchen etwas aus dem Zentrum des Erlebens, es scheint in der Corona-Sorge etwas aufgehoben; es gibt nun Konkretes zu besprechen, zu organisieren, zu erschaffen.“ Ferner hat die Krise auch Elemente, die Zusammenhalt fördern: Die Menschen sprechen mehr miteinander und versichern sich in der Not: „Wir sitzen alle in einem Boot. Gemeinsam schaffen wir das.“

Viele ihrer Patient*innen nutzen bereits die neue Videobehandlung. Natalia Erazo schätzt, dass es bei ihr bereits zwei Drittel der Termine sind. Doch nicht für jede Patient*in ist das Ferngespräch per Handy oder Laptop eine ausreichende Alternative, auch wenn man die Gesprächspartner*in dabei sieht. Im realen Kontakt kann das Gespräch, das immer auch viele gestische, nonverbale Elemente enthält, leichter eine Tiefe erreichen, als dies im virtuellen Kontakt möglich ist. Ein älterer Herr nimmt nach wie vor die Fahrt zur Praxis auf sich, trotz der besonderen Risiken, die er damit eingeht. Er möchte weiter das Gespräch von Angesicht zu Angesicht führen, um damit ab und zu aus der Einsamkeit seiner Situation herauszukommen. Natalia Erazo bleibt auch diesen Wünschen gegenüber offen. Solange eine Patient*in nicht positiv getestet ist, sind ihre Praxistüren nicht verschlossen. Auch wenn sie den Sicherheitsabstand auf drei Meter vergrößert hat.

Jetzt auch Sprechstunde und Probatorik per Videobehandlung möglich

BPtK begrüßt neue Regelungen während der Corona-Pandemie

(BPtK) Psychotherapeutische Sprechstunde und probatorische Gespräche sind während der Corona-Pandemie auch per Videotelefonat möglich. Das haben Kassenärztliche Bundesvereinigung und GKV-Spitzenverband gestern beschlossen. Danach kann in begründeten Einzelfällen die Beratung und Diagnostik von Patient*innen ohne unmittelbaren Kontakt erfolgen. Insbesondere Quarantäne-Patient*innen sind nicht anders zu versorgen. Aber auch älteren Menschen ist nicht immer zumutbar, das Ansteckungsrisiko auf dem Weg zur Praxis einzugehen. Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) begrüßt die neuen Regelungen während der Corona-Pandemie.

Auch für Gruppentherapien wurden Erleichterungen geschaffen. Bereits genehmigte Gruppentherapiesitzungen können unbürokratisch als Einzeltherapiesitzungen durchgeführt werden. Hierfür ist nur eine formlose Anzeige bei der Krankenkasse erforderlich.

Bereits seit vergangener Woche sind Videobehandlungen unbegrenzt möglich. Ihre Beschränkung auf maximal 20 Prozent der Patient*innen ist während der Corona-Pandemie ausgesetzt. Die BPtK setzt sich aber weiter dafür ein, psychotherapeutischen Sprechstunde, Probatorik und Behandlung per Telefon zu ermöglichen, wenn es anders nicht möglich ist.

BPtK: Corona erfordert Sprechstunde und Behandlung per Telefon

Auch Quarantäne-Patient*innen benötigen Versorgung

(BPtK) Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) fordert, dass Psychotherapeut*innen Sprechstunde, Probatorik und Behandlung während der Coronakrise auch per Telefon anbieten können. „Patient*innen in Quarantäne sind sonst nicht mehr zu versorgen“, stellt BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz fest. „Da längst nicht alle Patient*innen die technischen Möglichkeiten haben, sich per Videotelefonat beraten und behandeln zu lassen, ist es notwendig, während der Coronakrise die psychotherapeutische Versorgung grundsätzlich per Telefon zu ermöglichen. Die Psychotherapeut*innen werden in jedem Einzelfall prüfen, ob dies verantwortbar ist.“

Neben Quarantäne-Patient*innen benötigen auch viele ältere Patient*innen eine telefonische Beratung und Behandlung, um sich auf dem Weg in eine psychotherapeutische Praxis nicht zu gefährden. Ferner bestehen in ländlichen Gebieten vielerorts noch keine ausreichend stabilen Internetverbindungen, die eine Videobehandlung ermöglichen.

„Die Tageskliniken und Ambulanzen sind bereits geschlossen“

Erfahrungsbericht 1: Andreas Gilcher, Rhein-Mosel-Fachklinik in Andernach

(BPtK) Die Bundespsychotherapeutenkammer startet eine Serie mit Erfahrungen von Psychotherapeut*innen während der Coronakrise. Heute beschreibt Andreas Gilcher, wie sich die Rhein-Mosel-Fachklinik in Andernach in der er als Psychotherapeut in leitender Position arbeitet, darauf vorbereitet, trotz Ansteckungsgefahr die Versorgung aufrecht erhalten zu können.

Aus dem Dilemma gab es keinen anderen Ausweg: In die Tageskliniken kamen täglich viele der psychisch kranken Patient*innen von außerhalb. Das Risiko, dass sie das Coronavirus in das Krankenhaus trugen, war zu groß. In den Räumen für Gruppentherapie war der notwendige 2-Meter-Abstand nicht einzuhalten, die Räume für die Sporttherapie waren zu klein und auch beim Mittagessen saßen die Patient*innen zu eng nebeneinander. Es blieb nur ein Ausweg: Die sieben Tageskliniken der Rhein-Mosel-Fachklinik Andernach mussten schließen. „Die Ansteckungsgefahr war zu groß“, erklärt Andreas Gilcher, Psychologischer Psychotherapeut und Leitender Psychologe der Klinik.

Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen berieten: Wer konnte ambulant versorgt und deshalb entlassen werden und wer musste auf die Station aufgenommen werden. Die Entscheidung fiel auch deshalb so schwer, weil viele Patient*innen sich seit Wochen vor einer Ansteckung ängstigten. „Viele Menschen verfolgen den ganzen Tag die Nachrichten und ängstigen sich fortwährend“, schildert der Psychotherapeut Gilcher die starke Verunsicherung unter seinen Patient*innen. „Gerade ältere Patient*innen oder die mit Lungenerkrankungen sind sehr beunruhigt.“ Die Patient*innen werden jedoch nicht allein gelassen. „Die Psychotherapeut*innen, Ärzt*innen, Sozialarbeiter*innen und Pflegekräfte bleiben in telefonischem Kontakt mit ihren Patient*innen“, erklärt Gilcher. „Auch die Möglichkeiten der Videobehandlung sollen nun genutzt werden. In ganz dringenden Fällen bieten wir aber immer noch einzelne Therapiestunden von Angesicht zu Angesicht in den Tageskliniken an.“ Auch die Institutsambulanzen der Klinik arbeiten aktuell vor allem per Telemedizin.

Die Einschränkungen treffen nicht nur die Patient*innen der Tagesklinik. Die Klinik hat alle vorgesehenen Aufnahmen von der Warteliste abgesagt. Es erfolgen nur noch Notfallaufnahmen. Auf den Stationen besteht Besuchsverbot. Die Türen von außen sind zu. „Das schafft zusätzliche Unruhe“, erklärt Gilcher. „Die Patient*innen sorgen sich um sich und um ihre Angehörigen. Es sind weit mehr Gespräche als normal erforderlich. Diese erfolgen aktuell fast ausschließlich mit jeder einzelnen Patient*in und nicht mehr in Gruppen.“

Oberstes Ziel ist es, die Grund- und Notfallversorgung der Patient*innen aufrechtzuerhalten, auf den Stationen für die psychisch kranken Menschen, aber auch in der Neurologie der Klinik. Wie gut dies möglich ist, hängt auch stark von den Ausfällen bei den Mitarbeiter*innen ab. Ein Krisenstab passt täglich den Pandemieplan der Klinik an und informiert die Mitarbeiter*innen. Dazu gehört auch, dass eine ganze Station freigeräumt wurde, um Platz für Intensivbetten mit Beatmungsgeräten zu schaffen. Auf dieser COVID-Station sollen auch zwei Psychotherapeut*innen eingesetzt werden, die sich sowohl um die Patient*innen als auch um das Personal kümmern. Auch an Übernachtungsplätze für das Personal wurde gedacht, wenn der tägliche Weg vom Arbeitsplatz zur Familie nach Hause zu riskant werden sollte. Wenn das Virus weiter um sich greift, will die Klinik vorbereitet sein.

Die Corona-Epidemie verunsichert alle, die Patient*innen, aber auch das Personal. Die Mitarbeiter*innen auf den Stationen benötigen nicht nur Schulungen in den notwendigen Hygienestandards oder Auffrischungen in der Bedienung der Beatmungsgeräte. Sie benötigen auch tägliche Beziehungsarbeit und gutes Krisenmanagement. Das „Gemeinsam schaffen wir das“ erfordert Gespräche und ein besonnenes und fürsorgliches Miteinander. Die Expertise der Psychotherapeut*innen ist im Besonderen gefordert. Gespräche über psychische Krisen sind ihr Metier. „Aber die Coronakrise ist auch für uns und die Familien zuhause eine besondere Herausforderung“, weiß Andreas Gilcher.

BPtK-Praxis-Info Coronavirus

Hygiene, Videobehandlung, Meldepflichten und Entschädigungen

(BPtK) Die Corona-Pandemie verändert massiv die psychotherapeutische Versorgung. Patient*innen sagen aus Ansteckungsangst ihre Behandlungstermine bei Psychotherapeut*innen ab. Psychiatrische Krankenhäuser schließen ihre Tageskliniken, um nicht ihr Personal zu gefährden und auf Dauer die Versorgung sicherzustellen.

Die Corona-Pandemie verändert aber viele Abläufe im Alltag. Infizierte Patient*innen benötigen online Behandlungen per Videotelefonat. Hygienevorschriften und neue Meldepflichten sind zu beachten. Und nicht zuletzt: Was passiert, wenn zu viele Patient*innen absagen? Kann ich meine Praxis schließen? Gibt es Härtefallregelungen oder Entschädigungszahlungen?

Die BPtK gibt deshalb für Kammermitglieder eine „Praxis-Info Coronavirus“ heraus, die wichtige Fragen aus dem Praxisalltag beantwortet und fortwährend aktualisiert wird.

Psychotherapeutische Versorgung während der Corona-Epidemie

Interview mit Dr. Dietrich Munz, Präsident der BPtK

(BPtK) Psychisch kranke Menschen brauchen auch während der Corona-Epidemie weiter eine psychotherapeutische Versorgung. Psychotherapie findet aber in der Regel von Angesicht zu Angesicht statt. Ist dies überhaupt möglich?

Sicher, insbesondere solange weder Patient*innen noch Psychotherapeut*innen irgendwelche Symptome für Atemwegserkrankungen haben. Dann ist es zwar notwendig, dass ein ausreichender Abstand von ein bis zwei Metern eingehalten, auf das Hände-Schütteln verzichtet, die Husten- und Nies-Etikette beachtet wird und z. B. Türklinken regelmäßig desinfiziert werden. Dies sind die gesundheitlichen Vorsichtmaßnahmen, die jederzeit gelten. Sie ermöglichen aber auch, weiter Patient*innen in der Praxis zu sehen, zu beraten und zu behandeln.

Was ist, wenn die Patient*in Kontakt zu einer Corona-Erkrankten* hatte oder selbst erkrankt ist?

Dann besteht die Möglichkeit, die Behandlung online per Videotelefonat fortzuführen. Diese Möglichkeit war bis vor Kurzem noch stark begrenzt. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen haben jedoch noch Mitte März beschlossen, diese Begrenzungen der Videobehandlung aufzuheben. Die neue Regelung gilt vorläufig ab dem 1. April für das II. Quartal 2020. Wir begrüßen diese Entscheidung sehr, weil sie es überhaupt erst ermöglicht, die psychotherapeutische Versorgung auch für Patient*innen, die sich in Quarantäne befinden, sicherzustellen. Wenn der Patient*in aber kein Videotelefonat möglich ist, sollte auch die Behandlung per Telefon möglich sein. Beides ist wichtig, weil sich bei einem Teil der Patient*innen ohne Behandlung die psychischen Erkrankungen verschlimmern oder chronifizieren können.

Was ist, wenn eine Corona-Patient*in sich so stark in einer akuten Krise befindet, dass ein Videotelefonat nicht reicht?

Zunächst einmal sind Akutbehandlungen weiterhin von der Videobehandlung ausgenommen. Das ist ein Unding. Gerade diese Patient*innen brauchen unbedingt Beratung und Behandlung. Dies muss noch ermöglicht werden. Aber zu Ihrer Frage: Was ist, wenn dies nicht reicht? Ein unmittelbarer Kontakt zwischen einer coronakranken Patient*in gefährdet auch die Psychotherapeut*in und damit die psychotherapeutische Versorgung aller anderen ihrer Patient*innen. Denkbar wäre noch eine Behandlung im Schutzanzug. Doch für eine Behandlung in Schutzkleidung fehlt es aber zum einen in den Praxen an Atemschutzmasken und Schutzkleidung. Zum anderen stellt sich allerdings auch die Frage, ob ein Gespräch mit einer Psychotherapeut*in in Alienverkleidung der Patient*in tatsächlich hilft. Für diese Patient*innen wäre es unbedingt notwendig, per Telefon und Video möglichst viel psychotherapeutische Unterstützung aus der Ferne anbieten zu können.

Was ist mit der psychotherapeutischen Sprechstunde und den probatorischen Gesprächen? Muss die Diagnostik nicht eigentlich immer im unmittelbaren Kontakt durchgeführt werden?

Grundsätzlich ist das so. Die Diagnostik einer psychischen Erkrankung muss grundsätzlich von Angesicht zu Angesicht stattfinden, damit überhaupt ein vollständiger, auch nicht-visueller Eindruck von der Patient*in möglich ist. Die Corona-Epidemie schafft hier jedoch Notlagen bei den Patient*innen, die wir lösen müssen. Wir können in einer solchen weltweiten Epidemie die Patient*innen nicht allein lassen. Deshalb ist es in dieser noch nie dagewesenen Ausnahmesituation notwendig, auf die Videobehandlung zurückzugreifen, wenn sonst keine psychotherapeutische Versorgung möglich ist. Deshalb hält die BPtK es auch für notwendig, befristet Sprechstunden und probatorische Gespräche per Video in begründbaren Einzelfällen zu ermöglichen.

Welche Hilfen bieten Sie Ihren Kolleg*innen, um Sie in dieser Situation zu unterstützen?

Wir informieren fortwährend über den Stand der Entwicklungen auf unserer Homepage. Für die Behandlung per Videotelefonat haben wir bereits im November 2019 einen BPtK-Ratgeber herausgegeben. Darin ist auch ein Kapitel enthalten, das jetzt ganz wichtig wird: „Was muss ich bei der Praxisorganisation beachten?“. Darin werden Fragen beantwortet wie: „Was ist ein zertifizierter Videodienstanbieter? Welche technische Ausstattung ist notwendig? In welchen Räumen ist eine Videobehandlung möglich?“. Außerdem enthält sie eine Information für Patient*innen und Sorgeberechtigte.

Keine Heilberufekammer paritätisch besetzt

Im Gesundheitswesen fehlen Frauen in Führungspositionen

(BPtK) Keine der Heilberufekammern ist auf Bundesebene paritätisch besetzt. Weniger als 10 Prozent der Vorstandsmitglieder der zehn größten gesetzlichen Krankenversicherungen sind weiblich. Im Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ist überhaupt keine Frau zu finden. Das teilt die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen mit (BT-Drucksache 19/17806). Auch sie stellt fest, dass Frauen in Führungspositionen und Selbstverwaltungsgremien im Gesundheitswesen „unterrepräsentiert“ seien. Zukünftig gelten für alle Gremien des GKV-Spitzenverbandes und für den Verwaltungsrat der Medizinischen Dienste gesetzliche Quoten.

Im Vorstand der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) sind zwei Frauen vertreten, darunter auch die Vizepräsidentin. In den BPtK-Ausschüssen hat sich der Frauenanteil seit dem vergangenen Deutschen Psychotherapeutentag erhöht. Im Ausschuss für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie und im Ausschuss Psychotherapie in Institutionen sind Frauen bereits in der Mehrheit.