BPtK-Forderung: Kein Ausschluss der Neuerkrankten von Telefonbehandlung

BPtK schreibt an Gesundheitsminister Jens Spahn

(BPtK) Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) hat sich an Gesundheitsminister Jens Spahn gewandt, damit auch psychisch kranke Menschen, die neu erkrankt sind, telefonisch psychotherapeutisch beraten und behandelt werden können, wenn sie während der Coronakrise nicht anders versorgt werden können. „Der Ausschluss von Neuerkrankten von der psychotherapeutischen Telefonversorgung ist befremdlich“, stellt BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz fest. „In einem sozialen Gesundheitssystem muss jede Kranke* Anspruch auf professionelle Hilfe haben.“

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband haben beschlossen, dass Psychotherapeut*innen rund eine psychotherapeutische Sitzung pro Monat (bis zu 20-mal 10 Minuten pro Patient*in pro Quartal) telefonisch beraten und behandeln können. „Für eine intensivere Behandlung stark belasteter Patient*innen reicht dies nicht aus“, kritisiert BPtK-Präsident Dr. Munz. „Unerklärlich ist jedoch, dass nicht auch Neuerkrankte, wenn es nicht anders möglich ist, telefonisch beraten und behandelt werden können. Unsere Kolleg*innen berichten, dass sie täglich neue Anfragen in ihren Praxen erhalten. Darunter sind insbesondere ältere Menschen oder solche mit somatischen Erkrankungen, die aufgrund der Ansteckungsgefahr nicht in die Praxen kommen können. Außerdem verfügen viele von ihnen nicht über die technischen Voraussetzungen, eine Videosprechstunde nutzen zu können oder leben in ländlichen Regionen mit unzureichender Internetanbindung.“ Der Ausschluss von der Telefonbehandlung trifft aber auch Kinder und Jugendliche, deren Familien sich finanziell die technische Ausrüstung nicht leisten können, um sich per Videogespräch von einer Psychotherapeut*in beraten und behandeln zu lassen.

„Sollte es keine andere Möglichkeit geben, ist der telefonische Kontakt während der Coronakrise unverzichtbar, um die psychotherapeutische Versorgung aufrechtzuerhalten“, erklärt BPtK-Präsident Munz. „Während der Coronakrise beobachten wir, dass sich depressive und Angstsymptome verstärken. Deshalb rufen uns täglich Patient*innen an, die Beratung und Behandlung benötigen, aber vorher noch nicht in unseren Praxen waren.

Unerklärlich ist für uns außerdem die Regelung, dass die Akutbehandlung nicht per Video erbracht werden kann. Gerade sie gäbe die Möglichkeit, mit bis zu 24-mal 25 Minuten Patient*innen in akuten Krisen rasch behandeln zu können. Eine patientenorientierte Lösung wäre es, während der Corona-Pandemie psychotherapeutische Leistungen generell auch per Telefon erbringen zu können.“

In der Krise erreichbar bleiben

Erfahrungsbericht 7: Benedikta Enste, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin

(BPtK) Benedikta Enste kann die Verunsicherung vieler Menschen in Coronazeiten gut verstehen: Ein Virus, das unsichtbar und hoch ansteckend ist. Das überall sein kann und allgegenwärtiges Thema in den Schlagzeilen ist. Das fast alles lahmlegt, auch das, was Menschen normalerweise tagtäglich brauchen: den persönlichen Kontakt und den Austausch mit anderen. Das Virus macht diesen Kontakt plötzlich lebensgefährlich. „Mich hat die Corona-Epidemie schon beschäftigt, als von ihr noch aus China berichtet wurde“, erzählt Psychotherapeutin Benedikta Enste. Das Thema kam dann täglich näher und die Unruhe untergrub immer mehr die gewohnte Sicherheit des Alltags, all das, worauf sich jeder verlässt, ohne ständig darüber nachzudenken. Diese Sicherheit höhlte das Virus aus, schließlich kann es lebensbedrohlich sein, für einen selbst, für den kranken Lebenspartner, für Eltern und Großeltern. „Das, was wir uns sonst nicht ständig bewusst machen, erreicht uns jetzt täglich in Gedanken und Gefühlen: unsere Verletzlichkeit, unsere Sterblichkeit“, schildert Benedikta Enste den Prozess, in dem sich das Coronavirus auch im alltäglichen Erleben immer mehr ausgebreitet hat. „Auch für mich ging es zunächst darum, zu diesem Unfassbaren eine Haltung zu finden. Zu akzeptieren, dass die Realität jetzt eine andere ist, und besonnen zu entscheiden, was ich verantwortungsvoll tun kann.“

Benedikta Enste begann mit dem Praktischen. Sie ist als Kinder- und Jugendlichen-psychotherapeutin im nordrhein-westfälischen Engelskirchen in eigener Praxis niedergelassen. Beim Kontakt mit Eltern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen kann der Ansteckungsgefahr mit Hygieneregeln begegnet werden: Türklinken desinfizieren, statt Hände schütteln intensives Waschen der Hände, beim Gespräch ausreichend Abstand halten und regelmäßig das Behandlungszimmer lüften. Aber bei der Behandlung mit jüngeren Kindern Abstand halten? „Dann würde ich mich so ganz anders verhalten, als sie es von mir gewohnt sind. Es könnte schnell so wirken, als hätte ich jetzt Angst vor ihnen“, überlegte Benedikta Enste. „Bei älteren Kindern habe ich den Tisch im Kindertherapieraum zwischen uns erst einmal längs gestellt. So lässt sich die Coronakrise unmittelbar thematisieren und anschließend können wir uns besser auf das konzentrieren, was die Kinder beschäftigt.“ Gemeinsam mit den Eltern einiger jüngerer Patient*innen wurde eine Aussetzung der Termine für vier Wochen vereinbart.

Dass Kitas und Schulen schlossen, ist für viele Kinder und Jugendliche einschneidender, als sie zunächst dachten. Aus dem „Super! Schulfrei!“ wurde bei einigen schnell ein Stöhnen: „Wann geht die Schule endlich wieder los?“. Die Tagesstruktur fehlt, die ständige Nähe in der Familie ist ungewohnt und die Schulaufgaben überfordern häufig Kinder und Eltern. „Gerade den depressiven Kindern und Jugendlichen fehlt das Morgens-raus-aus-dem Haus, die Abwechslung des Unterrichts, die Pausen mit den anderen“, stellt die Psychotherapeutin fest. „Jetzt fällt fast alles weg. Treffen mit Freunden oder gemeinsamer Sport gehen nicht mehr.“ Manche Kinder äußern große Sorge, ihre Eltern oder Großeltern durch die Krankheit zu verlieren. Eine 11-Jährige, die seit ihrem vierten Lebensjahr bei Pflegeeltern lebt, denkt nun wieder öfter an den frühen Tod ihrer Mutter und hat Angst, dass wieder so etwas passieren könnte. „Jetzt werden wir alle sterben!“ Dem jungen Mädchen droht eine Retraumatisierung.

Benedikta Enste ist weit häufiger als sonst telefonisch für ihre Patient*innen erreichbar. Das Gespräch am Telefon ist für viele vertrauter als der Videochat, der als therapeutisches Gespräch doch selbst für die jüngere Internetgeneration noch fremd ist. „Die Bindung halten“ ist für die Psychotherapeutin das Wichtigste in der Krise. Besonders bei Kindern und Jugendlichen, die in Jugendhilfeeinrichtungen leben und jetzt keine Besuche von Familienangehörigen mehr bekommen, ist dies notwendig. Auch wenn die Kinder und Jugendlichen sich dort abschotten müssen, erleben sie sich doch nun auch als Gemeinschaft. Sie können raus auf das Gelände, das zum Heim gehört, und haben in ihren Wohngruppen weiter ihren stützenden Tagesablauf. Der Psychotherapeutin kann ich auch schreiben, entdeckt eine Jugendliche. „Konzentriert die richtigen Worte für das zu suchen, was man ausdrücken will, ist auch eine gute Möglichkeit, sich weiter auszutauschen und so in Kontakt zu bleiben“, weiß Benedikta Enste.

Leben in Trennung ist jetzt noch komplizierter

Erfahrungsbericht 6: Jörg Hermann, Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche

(BPtK) Manches lässt sich nicht verschieben, auch nicht in Coronazeiten. Zum Beispiel: Die Unterstützung für eine Mutter, die gerade Drillinge entbunden hat. „Da ist es wichtig, schnell und unbürokratisch Hilfe zu organisieren, damit nicht gleich in den ersten Tagen die Eltern überfordert sind“, berichtet Jörg Hermann, Psychotherapeut in der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche im niedersächsischen Landkreis Wolfenbüttel.

Anderes hat trotz Coronakrise mehr Zeit. „Noch haben wir persönliche Termine in der Beratungsstelle“, schildert Jörg Hermann die Situation. „Viele haben die Termine jedoch verschoben oder nutzen unsere Telefonberatung.“ Für Eltern, bei denen Home-Office und Home-Schooling zu heftigeren Konflikten führt, hat die Beratungsstelle eine Corona-Hotline eingerichtet. Viele Eltern scheinen allerdings mit dem intensiveren Familienleben noch gut zurecht zu kommen, nutzen das schöne Wetter für Spaziergänge und Gespräche, die sonst nicht möglich sind. „Längst nicht überall herrscht Lagerkoller.“

Psychisch kranke Menschen ringen jedoch häufig um Stabilität, weil Kitas und Schulen und auch viele Betriebe geschlossen sind. Etwa die chronisch depressiv kranke Mutter, der die gewohnten Tagesabläufe verloren gingen. Da die Kinder nicht mehr zur Schule müssen, ist morgens der fixe Startpunkt weggefallen. Draußen setzten ihr Ansteckungsängste zu: „Kann sie noch zur Physiotherapeutin gehen, obwohl dort doch nicht der 2-Meter-Abstand eingehalten werden kann?“ „Reicht ein Mundschutz aus, um sich zu schützen?“ Ihre Unsicherheit war so groß, dass sie immer wieder die Luft angehalten hat, wenn der Physiotherapeut ihrem Kopf zu nahe kam. „Die Coronakrise verstärkt nicht selten bestehende Ängste und Rückzugsneigungen“, erklärt Psychotherapeut Jörg Hermann. „Insbesondere psychisch erkrankte Menschen haben jetzt noch größere Schwierigkeiten, das innere Gleichgewicht zu wahren. Wir helfen dabei, dass die Mutter weiter für ihre Familie da sein kann.“ Auch soziale Unterschiede werden offensichtlicher. „Manchen unserer Klient*innen fällt angesichts geschlossener Spielplätze besonders auf, dass andere Familien einen eigenen Garten zur Verfügung haben.“

Viele Gespräche führt die Beratungsstelle allerdings auch mit Eltern, die sich gerade trennen oder aushandeln, wann wer die Kinder sieht. Eine Mutter macht sich jetzt Sorgen, wenn sie das Kind zum Vater schickt. Die zweieinhalbjährige Tochter sollte Ostern zu ihm und das erste Mal übernachten. Die Großmutter, die zur Unterstützung kommen sollte, kann jetzt aber nicht anreisen, da das Infektionsrisiko für sie zu groß ist. Der Vater fragte sehr verzweifelt, ob er seine Tochter denn jetzt überhaupt noch sehen kann. „Die Eltern konnten untereinander keine Entscheidung fällen, wir haben zusammen nach Wegen gesucht“, berichtet Jörg Hermann. „Corona macht das Leben in Trennung noch komplizierter, als es ohnehin schon ist.“

Aktualisierung: BPtK-Praxis-Info Coronavirus

Die neuen bundesweiten Regelungen zur Telefonbehandlung

(BPtK) Aufgrund der neuen bundesweiten Regelungen zur psychotherapeutischen Versorgung per Telefon hat die BPtK ihre Praxis-Info Coronavirus aktualisiert.

Die Corona-Pandemie verändert viele Abläufe im Alltag. Infizierte Patient*innen benötigen Online-Behandlungen per Videotelefonat. Hygienevorschriften und neue Meldepflichten sind zu beachten. Und nicht zuletzt: Was passiert, wenn zu viele Patient*innen absagen? Kann ich meine Praxis schließen? Gibt es Härtefallregelungen oder Entschädigungszahlungen? Die aktualisierte Praxis-Info informiert über Hygiene, Videobehandlung, Fortführung von Behandlungen per Telefon, Meldepflichten und Entschädigungen.

Die Praxis-Info Coronavirus wird weiter fortwährend aktualisiert.

So wenig Corona wie möglich

Erfahrungsbericht 5: Oleg Winterfeld, Psychotherapeut in der beruflichen Integration

(BPtK) Mit diesem Ablenkungseffekt hatte das Reha-Team für berufliche Integration gar nicht gerechnet. Das neue Online-Angebot der Rheinhessen-Fachklinik Alzey hatte die Teilnehmer*innen eher in eine Computerkrise als in eine Coronakrise gestürzt. Nicht jeder von ihnen war technisch ausreichend auf den Ortswechsel vom Kursraum in die eigenen vier Wände vorbereitet gewesen. Das Online-Programm war eine schnell und pfiffig umgesetzte Alternative zu den täglichen Kursen des ambulanten beruflichen Reha-Angebots gewesen. Doch an die Cloud, in der alles in einem eigenen Ordner abrufbereit lag, musste jede Teilnehmer*in erst einmal herankommen.

Seither stellt das Reha-Team täglich Arbeitsaufträge ins Netz, die heruntergeladen und ausgeführt werden sollen. „Um eine Tagesstruktur aufrechtzuerhalten, senden wir morgens bis 10 Uhr eine E-Mail mit Aufgaben, die bis 16:30 Uhr erledigt werden sollen“, berichtet Oleg Winterfeld, der Psychologische Psychotherapeut im Team, dem auch ein Psychologe, eine Sozialarbeiterin, eine Fachkraft für Berufs- und Arbeitspädagogik, ein studentischer Mitarbeiter sowie zahlreiche Honorarkräfte aus der Erwachsenenbildung angehören.

Das berufliche Reha-Angebot der Alzeyer Klinik richtet sich an Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen und hilft ihnen, wieder ins Berufsleben zurückzufinden. Das Online-Programm soll die Zeit der Coronakrise überbrücken, in der die Kurse vor Ort nicht mehr möglich sind, und vor allem eins verhindern: dass die Teilnehmer*innen zu stark ins Grübeln kommen. „Unser Motto lautet: So wenig Corona wie möglich“, erzählt Oleg Winterfeld. „Die erste Woche haben wir noch sehr viel telefoniert. Die Teilnehmer*innen riefen an und ließen sich zur Technik beraten. Ab der zweiten Woche waren wir wieder in der Lage, unser vollständiges Beratungsangebot für psychologische, sozialrechtliche, berufliche Angelegenheiten anzubieten.“

Ein großer Teil der Teilnehmer*innen war in guter psychischer Verfassung. Einige mussten allerdings die Praktika, die zum Programm der beruflichen Integrationsmaßnahme gehören, abbrechen, weil auch die Betriebe schlossen. „Einige stürzte dies wieder in Existenzängste und die Furcht, erneut in der Arbeitslosigkeit zu landen“, berichtet der Psychotherapeut. „Das mussten wir auffangen. Bei anderen hocken sich gerade alle in der Familie sehr eng auf der Pelle. Für einige bestehen jetzt zu wenig Rückzugmöglichkeiten.“

Mit der Idee, das Kursangebot zu digitalisieren und online anzubieten, schuf das Reha-Team für die Teilnehmer*innen jeden Tag einen Start- und Endpunkt. Zum Angebot gehören Arbeitsblätter sowie Audio- und Videodateien. Damit die Teilnehmer*innen auch untereinander in Kontakt bleiben können, informierte das Team über verschiedene Videokonferenzsysteme und bot die Möglichkeit, diese auszuprobieren. „Wir wollen erreichen, dass unsere Teilnehmer*innen auch in der erzwungenen Vereinzelung noch die vertrauten Gesichter sehen“, erklärt Oleg Winterfeld. „Bei unseren Videos, die wir zum großen Teil selbst produzieren, treten wir möglichst authentisch und humorvoll auf, nehmen uns auch selbst auf die Schippe, um die Verbundenheit zu stärken.“ Außerdem beginnt und endet jede Woche mit einer Achtsamkeitsübung.

Dabei darf der Schutz des Reha-Teams nicht zu kurz kommen. „Wir haben jetzt feste Arbeitsplätze und Telefone und arbeiten in getrennten Büros oder stellen einen 2-Meter-Abstand sicher“, berichtet Oleg Winterfeld. „Die Produktion und Bearbeitung der Materialien frisst mehr Zeit als erwartet, die Arbeitsbelastung ist dadurch momentan sogar höher als bei den Präsenzangeboten – Ich arbeite zum Teil 50 Stunden die Woche. Zum Glück haben wir ein sehr engagiertes Team.“

Während Corona: Psychotherapeutische Versorgung per Telefon

Fortführung von Behandlungen möglich, neue aber nicht

(BPtK) Ab sofort können Psychotherapeut*innen ihre Patient*innen bundesweit telefonisch weiter beraten und behandeln. Das Angebot ist auf maximal 20 Einheiten à 10 Minuten im Quartal begrenzt. Dies haben Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) am Freitag beschlossen.

„Dies ist eine dringend notwendige Lösung für Patient*innen, die nicht mehr in die Praxen kommen können oder nicht über die technischen Voraussetzungen für Videogespräche verfügen“, stellt Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), fest. „Damit ist sichergestellt, dass Psychotherapeut*innen die Behandlungen ihrer Patient*innen fortsetzen können.“ Aufgrund der Coronakrise nimmt der Versorgungsbedarf wegen behandlungsbedürftigen Depressionen und Angststörungen voraussichtlich zu. Die häusliche Enge in den Familien und finanzielle Existenzängste verunsichern viele Menschen stark.

Unverständlich ist jedoch, dass dies nur für Patient*innen gilt, die in den vergangenen 18 Monaten bereits bei einer Psychotherapeut*in waren. Patient*innen, die neu erkranken, sind damit ausgeschlossen. Für die ersten diagnostischen Gespräche müssen sie zumindest in die Video-Sprechstunde einer Psychotherapeut*in. „Gerade ältere Patient*innen verfügen jedoch häufig nicht über die dafür notwendigen technischen Voraussetzungen. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass Neuerkrankte während der Coronakrise von psychotherapeutischer Beratung und Behandlung abgeschnitten werden. Dies ist nicht zu verantworten. In dieser Notsituation brauchen wir psychotherapeutische Hilfen per Telefon für alle.“

Einige Kassenärztliche Vereinigungen haben bereits psychotherapeutische Gespräche per Telefon auch für neue Patient*innen zugelassen. „Der Lösungsvorschlag von KBV und GKV-Spitzenverband bleibt dahinter zurück“, kritisiert Munz. Die neue Leistung beinhaltet die psychotherapeutische Betreuung mit Telefongesprächen von mindestens 10 Minuten Dauer. Wenn erforderlich, können damit Patient*innen, die der Praxis bekannt sind, telefonisch behandelt und beraten werden. Insbesondere kürzere stützende Gespräche und Kriseninterventionen können damit auch per Telefon durchgeführt werden.

Maximal 20 Einheiten à 10 Minuten im Quartal reichen aber nicht aus. „Die Beschränkung ist aus fachlicher Sicht nicht nachzuvollziehen“, kritisiert Dr. Munz. „Insbesondere schwer erkrankte Patient*innen, die wegen der Coronakrise nicht mehr in die Praxis kommen können oder bei denen Videogespräche nicht möglich sind, sollten über regelmäßige kurze Gespräche stabilisiert und unterstützt werden können. Dafür ist umgerechnet gut eine psychotherapeutische Sitzung pro Monat zu wenig. Intensivere Behandlungen für stark belastete Patient*innen sind so weiterhin nicht möglich.

Die BPtK hatte gefordert, während der Coronakrise auch reguläre Psychotherapiesitzungen, die aktuell nicht im unmittelbaren Kontakt oder per Video erbracht werden können, per Telefon durchführen zu können, ebenso wie die Akutbehandlung. Dies ist umso dringender, als psychiatrische und psychosomatische Krankenhäuser und Tageskliniken ihre Angebote aktuell deutlich eingeschränkt haben.

BPtK: Trotz Corona – Psychotherapeut*innen weiter erreichbar

Beratung und Behandlung kann per Telefon fortgesetzt werden

(BPtK) Ab sofort können Psychotherapeut*innen die Beratung und Behandlung von psychisch kranken Patient*innen auch telefonisch fortsetzen. „Dies ist eine dringend notwendige bundesweite Lösung, für die Patient*innen, die aufgrund der Coronakrise nicht mehr in die Praxen kommen können oder nicht über die Technik für Online-Videogespräche verfügen“, stellt Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), fest. „Damit ist sichergestellt, dass Patient*innen, die sich aufgrund einer psychischen Erkrankung bereits in Behandlung befinden, weiter psychotherapeutisch versorgt werden können.“

Unverständlich ist jedoch, dass dies nur für Patient*innen gilt, die in den vergangenen 18 Monaten bereits bei einer Psychotherapeut*in waren. Patient*innen, die neu erkranken, sind damit ausgeschlossen. Für die ersten diagnostischen Gespräche müssen sie zumindest in die Video-Sprechstunde einer Psychotherapeut*in. „Gerade ältere Patient*innen verfügen jedoch häufig nicht über die dafür notwendigen technischen Voraussetzungen. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass Neuerkrankte während der Coronakrise von psychotherapeutischer Beratung und Behandlung abgeschnitten werden. Dies ist nicht zu verantworten. In dieser Notsituation brauchen wir telefonische Versorgung für alle.“ Einzelne Kassenärztliche Vereinigungen haben schon solche patientengerechten Lösungen geschaffen.

Mit der Coronakrise nimmt der Versorgungsbedarf aufgrund behandlungsbedürftiger Depressionen und Angststörungen voraussichtlich zu. Die häusliche Enge in den Familien und finanzielle Existenzängste verunsichern viele Menschen stark. Wer länger oder stärkere psychische Beschwerden hat, sollte sich nicht scheuen, sich an eine Psychotherapeut*in zu wenden.

Während der Coronakrise: Der Weg zum Psychotherapeuten

  • Eine psychotherapeutische Beratung und Behandlung kann grundsätzlich auch weiter in den psychotherapeutischen Praxen stattfinden, auch trotz Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverboten. Die Behandlung einer psychischen Erkrankung gehört zur medizinisch dringend notwendigen Versorgung. Patient*innen können deshalb weiter Termine für eine Behandlung von Angesicht zu Angesicht machen oder bestehende Termine wahrnehmen, wenn sie keine Erkältungssymptome und sich nicht mit dem Coronavirus angesteckt haben. Die Praxen halten alle notwendigen Hygienestandards ein, die dafür notwendig sind.
  • Wem es nicht möglich ist, in die Praxis zu kommen, kann eine Online-Behandlung per Videogespräch angeboten werden. Dafür benötigen die Patient*innen z. B. ein Tablet, einen Laptop oder PC.
  • Wer über keines dieser Geräte oder keine ausreichend stabile Internetverbindung verfügt, kann sich auch per Telefon an eine Psychotherapeut*in wenden. Wer in den vergangenen 18 Monaten bereits bei einer Psychotherapeut*in war, kann auch weiter telefonisch behandelt werden.
  • Wer erstmals aufgrund psychischer Beschwerden Hilfe bei einer Psychotherapeut*in sucht, muss zunächst in die psychotherapeutische Sprechstunde. Diese kann in der Praxis oder per Video-Gespräch erfolgen. Die Psychotherapeut*in muss die Patient*in weiterhin zur Diagnostik sehen. Eine rein telefonische Beratung, ob eine Behandlung notwendig ist, ist nicht möglich.

Frauen brauchen mehr Fluchträume

BPtK: Häusliche Gewalt nimmt in der Coronakrise zu

(BPtK) Die meisten Frauenhäuser sind schon ohne Coronakrise hoffnungslos überfüllt. Bisher existiert in Deutschland kein flächendeckendes Netz von Beratungsstellen und Zufluchtsorten für Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind.

„Die Coronakrise führt zu deutlich häufigeren Konflikten in den Familien. Ungewohnte Enge und Ausgangsperren sowie finanzielle Existenzängste können Streit in den Familien eskalieren lassen. Manche führen zu Gewalt gegen Frauen und Kinder“, berichtet Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). „Deshalb müssen zusätzliche Zufluchtsorte geschaffen werden, damit Frauen vor häuslicher Gewalt geschützt werden können.“ Eine chinesische Frauenrechtsorganisation berichtete von einer Verdreifachung der Anrufe aufgrund von häuslicher Gewalt während der Coronakrise.

Die BPtK fordert deshalb zusätzliche öffentliche Mittel, mit denen ungenutzte Hotels und Ferienwohnungen angemietet werden können, um Frauen mit ihren Kindern während der Coronakrise sicher unterbringen zu können. Die Frauenhäuser und Beratungsstellen müssen auch so ausgestattet werden, dass sie bei vermehrten Anrufen ausreichend Hilfe anbieten können. „Die Frauen, die den Mut finden, einen Ausweg aus eskalierender Gewalt in ihren Familien zu suchen, dürfen nicht abgewiesen werden“, mahnt BPtK-Präsident Munz. Dafür müssen die Beratungsstellen und Frauenhäuser verlässlich finanziert werden und die Mitarbeiter*innen als systemrelevant eingestuft werden.

Hilfetelefon gegen Gewalt an Frauen: 08000 116 016

Wenn psychotherapeutische Behandlung nur noch in 2D möglich ist

Erfahrungsbericht 4: Hans-Peter Brettle, Psychotherapeut im Landkreis Wittlich

(BPtK) Von Normalität kann zwar noch keine Rede sein, aber ein typischer Arbeitstag von Hans-Peter Brettle, Psychotherapeut im rheinland-pfälzischen Landkreis Wittlich sieht inzwischen so aus: Vier Patient*innen kommen noch in seine Praxis. Vier anderen ist das Ansteckungsrisiko zu groß, sie wählen die Online-Videobehandlung, bei der zwar der Psychotherapeut noch in seiner Praxis sitzt, die Patient*in aber zuhause in ihrem Wohn- oder Arbeitszimmer. Die neue Variante der Fernbehandlung ist für beide Seiten noch unvertraut und auch noch nicht perfekt: Zweimal bricht die Leitung zusammen, einmal fällt der Ton aus. „Wenn dies in einem Moment passiert, in dem die Patient*in gerade schildert, was ihr besonders nahe geht, stört dies schon erheblich“, berichtet Hans-Peter Brettle, der sowohl Psychologischer Psychotherapeut als auch Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut ist.

Corona hat vieles verändert. „Ich rufe zur Zeit jede Patient*in einen Tag vorher an und frage, wie es ihr geht“, schildert Hans-Peter Brettle weiter seinen Alltag in der Coronakrise. „Hat die Patient*in Husten, Schnupfen oder Fieber, sage ich den Termin ab, um mich und meine anderen Patient*innen zu schützen. Stattdessen biete ich die Videobehandlung an oder, falls ein Gespräch in 2D nicht ausreicht, einen Spaziergang mit dem ausreichenden Abstand an.“ Immerhin die Hälfte seiner Patient*innen möchte noch das Gespräch von Angesicht zu Angesicht, den direkten Kontakt zum Psychotherapeuten und den Schutzraum der Praxis, um sich ausreichend sicher und aufgehoben zu fühlen. Weitere 20 Prozent der Patient*innen sagen ihre Termine ab, weil sie Angst haben, sich anzustecken. „Solange dies Patient*innen sind, die auf dem Weg der Besserung sind, kann eine Psychotherapie auch seltener stattfinden oder ausgesetzt werden“, sagt Hans-Peter Brettle. Bei anderen nehmen allerdings Ängste und Panikattacken zu. Die dauernde Beschäftigung mit dem Virus und den staatlichen Gesundheitsmaßnahmen führt bei ihnen zu einer ständigen Beunruhigung. „Manchen Patient*innen habe ich schon geraten, nur noch einmal am Tag die Nachrichten zu lesen, damit sie sich nicht weiter in ihre Ängste hineinsteigern.“ Depressiv Kranke leiden dagegen häufig unter der verordneten Isolierung und Einsamkeit. „Als Psychotherapeut empfehle ich ihnen normalerweise genau das Gegenteil. Ich versuche, sie zu aktivieren, sie zu motivieren, etwas zu unternehmen und Familie und Freund*innen zu treffen.

Die Behandlung in der Praxis und im unmittelbaren Gegenüber bleibt für Hans-Peter Brettle das Non-Plus-Ultra in der Psychotherapie. „In dieser Ausnahmesituation ist die Videobehandlung jedoch eine wichtige Alternative, weil sie ermöglicht, die Behandlung fortzusetzen. Eine Unterbrechung könnte bei einigen Patient*innen die psychische Erkrankung deutlich verschlimmern. Dafür sind sie noch nicht stabil genug.“ Viele Patient*innen sind deshalb dankbar, dass es inzwischen diese Möglichkeit der Fernbehandlung gibt.

Auch die Telefonate mit den Eltern der Kinder, die in seiner Praxis in Behandlung sind, nehmen zu. „Die Schließung von Kitas und Schulen, diese milde Form der Quarantäne, schafft in den Familien eine große Nähe“, berichtet Hans-Peter Brettle. „Die Kinder suchen Beschäftigung, die Eltern sorgen sich um ihren Arbeitsplatz.“ Auch die Telefonate sind eine notwendige Ergänzung der Kontaktaufnahme in Corona-Zeiten, da längst noch nicht alle Patient*innen über Internet verfügen. Deshalb war Hans-Peter Brettle sehr erfreut, dass die Kassenärztliche Vereinigung in Rheinland-Pfalz auch die Telefonsprechstunde ermöglichte. „So ist Kontakt mit allen möglich, die meine Beratung und Hilfe benötigen.“

Jetzt Soforthilfe beantragen

BPtK begrüßt Rettungspaket für Freiberufler*innen

(BPtK) Die Bundesregierung hat ein Soforthilfe-Programm für Freiberufler*innen, Soloselbstständige und Kleinunternehmer*innen eingerichtet, die durch die Coronakrise in eine existenzbedrohliche wirtschaftliche Schieflage oder in Liquiditätsengpässe geraten sind. Mit den Zuschüssen sollen akute Liquiditätsengpässe, z. B. aufgrund von laufenden Kosten, wie Miete oder Krediten, überbrückt werden. Freiberufler*innen und Unternehmen mit bis zu fünf Beschäftigten können einmalig bis zu 9.000 EUR erhalten. Bei bis zu zehn Beschäftigten können bis zu 15.000 EUR beantragt werden. Die Soforthilfe kann seit dem 29.03.2020 beantragt werden.

Neben der Soforthilfe der Bundesregierung gibt es auch länderspezifische Hilfen. Eine Übersicht zu allen bundesweiten sowie landesspezifischen Regelungen finden Sie beim Bundesverband der Freien Berufe.