Es fehlen weiter psychotherapeutische Behandlungsplätze

Bericht der Unabhängigen Patientenberatung 2020

(BPtK) Es fehlen weiterhin psychotherapeutische Behandlungsplätze. Das resultiert auch aus dem Monitor Patientenberatung 2020 der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD), der am 16. Juni 2021 veröffentlicht wurde.

Die UPD stellt in ihrem Bericht heraus, dass die Vermittlung von Psychotherapie-Plätzen immer noch problematisch sei. Das hätten auch die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen nicht verbessern können. Psychisch kranke Menschen bekämen zwar Termine für die psychotherapeutische Sprechstunde oder eine Akutbehandlung vermittelt, es mangele aber weiterhin an freien Behandlungsplätze für Kurz- und Langzeittherapien. Demzufolge müssten psychisch kranke Menschen lange selbst nach einem freien Therapieplatz suchen. Die Krankenkassen lehnten weiter ab, eine Behandlung durch psychotherapeutische Privatpraxen zu erstatten, wenn bei den begrenzten Praxen der gesetzlichen Krankenversicherung kein freier Therapieplatz zu finden ist.

„Die Coronakrise hat den Mangel an Behandlungsplätzen verschärft“, kritisiert Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). „Es rächt sich jetzt, dass die Bedarfsplanung nicht den tatsächlichen Behandlungsbedarf abdeckt. Wo es keine Behandlungsplätze gibt, kann auch nichts vermittelt werden. Die Krankenkassen machen es sich zu einfach, wenn sie auf die Terminservicestellen verweisen.“

Luftnot und Todesangst von schwer Corona-Kranken

Jede* Vierte entwickelt eine posttraumatische Belastungsstörung

(BPtK) Für viele Menschen, die schwer am Corona-Virus erkrankt waren, hat die Virus-Erkrankung auch schwere traumatische Folgen. Ein Viertel entwickelt knapp drei Monte nach der Krankenhausbehandlung eine posttraumatische Belastungsstörung. Vor allem die lebensbedrohliche Erfahrung, keine Luft mehr zu kommen, führt zu plötzlichen und unkontrollierten Erinnerungen („Flashbacks“) an die Todesangst. Das ist ein Ergebnis einer Studie der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. In der Studie wurden 30.000 Personen wiederholt zwischen April 2020 und März 2021 zu ihrem psychischen Befinden befragt, darunter auch Corona-Kranke.

Die Studie zeigt auch, dass die psychische Belastung in der Allgemeinbevölkerung über die gesamte Pandemie hinweg erhöht war: Rund 65 Prozent der Befragten berichteten von vermehrtem Stress, 45 Prozent von größerer Ängstlichkeit und 15 Prozent von erhöhter Depressivität. Während des zweiten Lockdowns im November 2020 nahmen insbesondere die depressiven Beschwerden nochmals zu. Besonders belastet waren jüngere Menschen, Frauen und Menschen mit psychischen Vorerkrankungen.

Corona-Soforthilfe für Kinder und Jugendliche

BPtK-Forderungen zur Gesundheitsminister-Konferenz

(BPtK) Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) fordert anlässlich der morgigen Gesundheitsminister-Konferenz, die psychischen Belastungen und Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen infolge der Corona-Pandemie in den Fokus zu rücken. Dabei geht es nicht nur darum, schulische Lerndefizite auszugleichen, sondern insbesondere die psychischen Ressourcen und Widerstandskräfte von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Im Einzelnen fordert die BPtK:

1. Mehr psychotherapeutische Behandlungsplätze für Kinder und Jugendliche

Durch die Corona-Pandemie ist der psychotherapeutische Beratungs- und Behandlungsbedarf bei Kindern und Jugendlichen gestiegen. Deshalb müssen kurzfristig mehr befristete Praxissitze für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, also so genannte „Ermächtigungen“, zugelassen werden. Die Länder sollten auf die Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen einwirken, so mehr Behandlungsplätze für psychisch kranke Kinder und Jugendliche zu schaffen.

„Kinder und Jugendliche mit psychischen Erkrankungen infolge der Corona-Pandemie brauchen jetzt Hilfe und dürfen nicht auf die Wartebank geschoben werden“, fordert BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz. „Die Zulassungsausschüsse sollten deshalb mehr Psychotherapeut*innen befristet ermächtigen.“ Mittelfristig ist außerdem eine Reform der Bedarfsplanung notwendig, um die monatelangen Wartezeiten in der ambulanten Psychotherapie zu verkürzen, insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen.

2. Psychische Gesundheit stärken – Risikogruppen im Fokus halten

Insbesondere Kinder und Jugendliche, die bereits vor der Corona-Pandemie psychisch erkrankt waren, sowie Kinder aus sozial benachteiligten Familien hat die Corona-Pandemie besonders hart getroffen. Unterstützungsangebote konnten während der Corona-Pandemie nicht fortgesetzt werden. Bei der Umsetzung des „Aufhol-Programms“ des Bundes darf nicht nur das Aufholen schulischer Lerndefizite im Mittelpunkt stehen. „Die Maßnahmen müssen die psychische Gesundheit in den Lebenswelten der Kinder stärken. Das muss Sport-, Freizeit- und Kulturangebote einschließen“, betont BPtK-Präsident Munz. „Die Maxime bei der Umsetzung sollte aber auch sein: Keine* bleibt zurück! Die Länder müssen insbesondere die Kinder erreichen, die besonders stark unter der Pandemie leiden.“

3. Jugendhilfe stärken, Kooperationen intensivieren

Niedrigschwellige Beratungsangebote der Jugendhilfe müssen ausgebaut werden. „Erziehungs- und Familienberatungsstellen sind häufig die ersten Anlaufstellen, wenn es in Familien Probleme gibt und Kinder psychische Beschwerden haben“, so der BPtK-Präsident. Um Kindern und ihren Familien passgenaue Unterstützung zukommen zu lassen, sollten außerdem die Kooperation zwischen Mitarbeitenden der Jugendhilfe und den behandelnden Psychotherapeut*innen gestärkt werden. Die mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz jüngst beschlossenen Kooperationsvereinbarungen müssen schnell umgesetzt werden. „Die Kooperationsvereinbarungen sollten nicht nur auf Kinder beschränkt sein, bei denen Verdacht auf eine Kindswohlgefährdung besteht, sondern für alle Kinder gelten, bei denen eine Zusammenarbeit zwischen der Jugendhilfe und der Psychotherapeut*in sinnvoll und hilfreich ist“, hält Munz fest.

40 Prozent Vergütungsanteil für PiA in Ausbildungsinstituten

BPtK: Ökonomische Situation der PiA bleibt weiter prekär

(BPtK) Jede Psychotherapeut*in in Ausbildung (PiA) hat seit November 2019 einen Anspruch darauf, von ihren Ausbildungsinstituten mindestens 40 Prozent der Einnahmen aus ihren Patientenbehandlungen zu erhalten. Der Bundestag hat heute mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung klargestellt, dass hierzu keine neuen Vergütungsvereinbarungen mit den Krankenkassen erforderlich sind. Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) ist außerdem verpflichtet worden, die von den Instituten übermittelten Daten zur Höhe der Ausbildungskosten und des Vergütungsanteils in einer bundesweiten Übersicht zu veröffentlichen.

„Mit dieser Regelungen bleibt die ökonomische Situation der PiA aber prekär, weil sie weiterhin einen großen Teil der Ausbildungskosten tragen müssen“, stellt BPtK-Präsident, Dr. Dietrich Munz, fest. „Ihre Vergütung reicht nicht aus, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.“

Die 40-Prozent-Regelung gilt nicht nur für die PiA, sondern auch für die künftigen Psychotherapeut*innen in Weiterbildung. Diese verfügen jedoch bereits über eine Approbation und sind während der Weiterbildung an den Ambulanzen hauptberuflich und mit Anspruch auf ein angemessenes Gehalt sozialversicherungspflichtig zu beschäftigen. „Ein regelmäßiges und für eine Approbierte* angemessenes Gehalt lässt sich auf Basis einer solchen Einzelleistungsvergütung nicht finanzieren“, kritisiert BPtK-Präsident Munz. „Für die ambulante Weiterbildung brauchen wir deshalb in der nächsten Legislaturperiode eine finanzielle Förderung, wie wir sie beispielsweise von der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin kennen.“

Probatorik während der Krankenhausbehandlung auch in der Praxis möglich

GVWG stärkt nahtlose ambulante psychotherapeutische Weiterbehandlung

(BPtK) Künftig können probatorische Sitzungen während der Krankenhausbehandlung nicht nur in der Klinik, sondern auch in den psychotherapeutischen Praxen durchgeführt werden. Dies hat der Deutsche Bundestag mit dem heute verabschiedeten Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung klargestellt. Die Patient*innen können außerdem bereits für Probesitzungen zur Gruppen-Psychotherapie in die Praxis kommen.

Durch diese Regelungen soll eine erforderliche ambulante Psychotherapie noch während des stationären Aufenthalts so weit vorbereitet werden, dass die Patient*innen nahtlos weiterbehandelt werden können. Dadurch sollen insbesondere Behandlungsunterbrechungen vermieden werden. Durch einen gleitenden Übergang kann die Patient*in schon bereits während der Krankenhausbehandlung eine tragfähige und stützende Beziehung zu ihrer künftigen Psychotherapeut*in aufbauen. Um die Belastbarkeit der Patient*in zu erproben, kann es auch sinnvoll sein, dass sie noch vor der Entlassung selbstständig oder begleitet die Praxis aufsucht. Durch einen solchen frühzeitigen Praxisbesuch kann die Zuversicht der Patient*in gestärkt werden, den Übergang von der stationären in die ambulante Behandlung zu bewältigen. Bei psychischen Erkrankungen ist das Rückfallrisiko in den Wochen nach der Entlassung aus dem Krankenhaus besonders hoch. Eine nahtlose ambulante Weiterbehandlung kann dieses Risiko erheblich verringern.

Die präzisierten Regelungen zur Probatorik während der Krankenhausbehandlung müssen jetzt noch in der Psychotherapie-Richtlinie umgesetzt werden.

Klimawandel macht schon heute krank: Vor allem Ältere sind betroffen

Ergebnisse des WIdO-Reports „Klima und Gesundheit“

(BPtK) Der Klimawandel und die damit steigende Hitzebelastung hat schon heute spürbar negative Auswirkungen auf die Gesundheit älterer Menschen, wie aus dem jüngst veröffentlichten Report „Klima und Gesundheit“ des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) hervorgeht. Zwischen 2008 und 2018 mussten an heißen Tagen mit mindestens 30 Grad Celsius rund drei Prozent mehr über 65-Jährige ins Krankenhaus eingewiesen werden. Laut Hochrechnungen des WIdO entspricht das bei einer Million Älterer 40 zusätzlichen Klinikeinweisungen pro Hitzetag – zusätzlich zum normalen Tagesdurchschnitt von 1.350. Im Jahr 2020 gab es in Deutschland elf heiße Tage mit mindestens 30 Grad Celsius. Die Zahl der Klinikeinweisungen durch Hitze-Stress könnte sich bis zum Jahr 2100 sogar versechsfachen, wenn der globale Temperaturanstieg nicht gebremst wird.

Die Daten der Studie zeigen auch, dass jeder vierte AOK-Versicherte über 65 Jahre überdurchschnittlich stark durch Hitze-Stress gefährdet ist. Hierzu zählen insbesondere ältere Menschen mit Demenz, Niereninsuffizienz, Diabetes, Atemwegserkrankungen sowie Depressionen und anderen psychischen Auffälligkeiten. Aber auch ökologische, soziale und geografische Faktoren, wie Altersarmut, ein Mangel an professioneller Alterspflege sowie das Leben in einer ländlichen Region erhöhen das Risiko für hitzebedingte Klinikeinweisungen.

Um den Klimawandel einzudämmen, so das WIdO, sei auch ein größeres Wissen um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit entscheidend. Nach einer Umfrage des AOK-Instituts unter 3.000 Frauen und Männern im Alter von 18 bis 86 im September 2020 zeigte sich: 31 Prozent der Befragten fühlten sich nicht ausreichend über Umweltereignisse wie Hitze oder Unwetter informiert. Bei weniger direkt erlebten Klimafolgen wie Luftverschmutzung, vermehrte Polllenallergene oder durch Wasser und Lebensmittel übertragene Krankheitsüberträger berichteten sogar 40 bis 50 Prozent von einem Wissensdefizit.

Raster-Psychotherapie „abgeräumt“

Jens Spahn zieht zurück

(BPtK) „Es ist sachlich die einzig richtige Entscheidung, den geplanten Änderungsantrag zur Raster-Psychotherapie zum Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) ersatzlos zu streichen“, erklärt Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), zur Entscheidung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, diesen Änderungsantrag zurückzuziehen. „Weiterhin bleibt es aber dringend erforderlich, in ländlichen und strukturschwachen Gebieten die Anzahl der zugelassenen psychotherapeutischen Praxen und damit die Behandlungsmöglichkeiten für psychisch kranke Menschen zu erhöhen.“

Bärbel Bas, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, hatte gestern über die Absprachen innerhalb der Regierungskoalition zum GVWG berichtet. Der Vorschlag des Bundesgesundheitsministers zur Raster-Psychotherapie sei als nicht zielführend „abgeräumt“ worden. Rund 40 Prozent der psychisch kranken Menschen warten mindestens drei bis neun Monate auf den Beginn einer psychotherapeutischen Behandlung. „Der Versuch, angesichts solch massiver Mängel in der Versorgung, das Angebot an ambulanter Psychotherapie durch holzschnittartige Vorschriften beschneiden zu wollen, war grotesk und hat auch zu einem berechtigten Protest vieler Patient*innen und Psychotherapeut*innen geführt“, stellt BPtK-Präsident Munz fest (Instagram #gesichtgegenrasterpsychotherapie; Twitter #RasterPsychotherapie #keinerasterpsychotherapie).

Schüler*innen durch Corona-Pandemie stark belastet

Ergebnisse des DAK-Präventionsradars 2021

(BPtK) Kinder und Jugendliche in Deutschland sind durch die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Kontaktbeschränkungen stark belastet und verlieren ihre Lebensfreude, wie der kürzlich veröffentlichte Präventionsradar 2021 der Krankenkasse DAK zeigt. In einer bundesweiten Umfrage an 90 Schulen gaben 58 Prozent aller Schüler*innen an, unglücklicher zu sein als vor dem Ausbruch der Pandemie. Im Schnitt ist die Lebenszufriedenheit um 21 Prozent gesunken, am stärksten bei Schulkindern aus den Jahrgangsstufen fünf und sechs (26 %). Emotionale Probleme haben im Vergleich zu vor der Coronakrise um rund ein Drittel zugenommen, wobei Mädchen besonders stark betroffen sind: Jede vierte Schülerin berichtete von depressiven Symptomen, Traurigkeit, sozialem Rückzug und geringem Selbstwertgefühl, im Vorjahr waren es noch 18 Prozent. Der beschränkte Schulalltag und Online-Unterricht wirkt sich dabei nicht positiv auf das Stresserleben von Kindern und Jugendlichen aus: 45 Prozent aller befragten Schüler*innen fühlten sich oft oder sehr oft gestresst, insbesondere Mädchen sowie ältere Schüler*innen der Jahrgangsstufen neun und zehn.

Die Studie führt auch die verringerte Möglichkeit zu körperlicher Bewegung als eine Erklärung für die psychische Belastung an: Der Anteil der Schüler*innen, die sich täglich 90 Minuten bewegen, ist im Vergleich zum Vorjahr um ein Fünftel gesunken. Mädchen waren seltener ausreichend körperlich aktiv (24 %) als Jungen (34 %).

Der DAK-Präventionsradar ist eine jährliche Befragung unter Schüler*innen, die das Kieler Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung im Auftrag der Krankenkasse durchführt. Im Schuljahr 2020/21 wurden knapp 14.000 Schüler*innen der Jahrgangsstufen fünf bis zehn in 13 Bundesländern befragt. Schulen in Bayern, Hamburg und im Saarland nahmen nicht an der Studie teil.

Fallbesprechungen werden zukünftig vergütet

Kooperation bei Kindeswohlgefährdung durch das KJSG gestärkt

(BPtK) Um die Kooperation bei Kindswohlgefährdung zu stärken, werden künftig Fallbesprechungen zwischen Psychotherapeut*innen und Jugendämtern vergütet. Dies hat der Gesetzgeber mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) beschlossen, dem der Bundesrat am 7. Mai zugestimmt hat. „Eine Verpflichtung zur Kooperation ist ein wichtiger Schritt für eine bessere Versorgung von gefährdeten Kindern und Jugendlichen“, stellt Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, fest. „Die Vergütung sollte sowohl für Videokonferenzen als auch persönliche Fallbesprechungen geregelt werden.“

Um die Durchführung von berufsübergreifenden Fallkonferenzen zu regeln, müssen Kassenärztliche Vereinigungen und Kommunale Spitzenverbände nun auf Landesebene Kooperationsvereinbarungen treffen. Die Vergütung von Fallbesprechungen muss nun noch durch den Bewertungsausschuss im EBM (Einheitlicher Bewertungsmaßstab) geregelt werden.

Mit dem KJSG soll der veränderten Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen und ihren Familien durch eine Reform des Sozialgesetzbuches VIII Rechnung getragen werden. Durch das Gesetz soll mehr Teilhabe, bessere Leistungsangebote und vor allem ein wirksamerer Kinderschutz möglich werden.

„Es ist wichtig, zu beruhigen und Hilfe anzubieten“

BPtK-Empfehlungen: Erste Hilfe für Menschen in schweren psychischen Notsituationen

(BPtK) Psychische Hochs und Tiefs kennt fast jede*. Auch psychische Erkrankungen sind häufig. Mehr als jede vierte Erwachsene* in Deutschland (27,8 Prozent) ist jedes Jahr an einer psychischen Störung erkrankt. Im Laufe eines Lebens erkrankt fast jede zweite Deutsche* an einer psychischen Störung (42,6 Prozent). Rund ein bis zwei Prozent der deutschen Bevölkerung ist schwer psychisch krank. Das sind zum Beispiel häufig psychotisch kranke Menschen. Sie können in Krisen unter außerordentlichen Ängsten leiden oder den Kontakt zur Realität verlieren. Psychotisch kranke Menschen können sich dann bedroht und verfolgt fühlen und sind in einem seelischen Notzustand. Es ist dann sehr wichtig, sie zu beruhigen und Hilfe anzubieten.

„Die allermeisten Menschen mit psychischen Erkrankungen sind friedfertig“, stellt Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) fest. „Entscheidend ist, auf Menschen in psychischen Notlagen richtig zu reagieren.“ Erste Hilfe ist auch bei schweren psychischen Notsituationen möglich. Insbesondere Polizei und Einsatzkräfte sollten in der richtigen Gesprächsführung mit psychisch kranken Menschen geschult sein. Psychosoziale Krisendienste können Familien, die nicht mehr allein zurechtkommen, schnell und qualifiziert helfen. Aber auch jede einzelne Bürger*in kann durch richtiges Verhalten dazu beitragen, dass Menschen in psychischen Notlagen Hilfe bekommen und Krisensituationen nicht eskalieren.

Erste-Hilfe-Empfehlungen für Menschen in schweren psychischen Notsituationen

Die Bundespsychotherapeutenkammer empfiehlt folgende Regeln, um Menschen in schweren psychischen Krisen, insbesondere mit Angst- und Wahnvorstellungen, unmittelbar zu unterstützen.

Professionelle Hilfe rufen

  • Wenn Sie den Eindruck haben, dass die Person sich selbst oder andere gefährdet, rufen Sie die Polizei oder den Rettungsdienst an – oder noch besser einen psychosozialen Krisendienst. Nicht in jeder Region gibt es einen Krisendienst. Sie können dies aber herausfinden, indem sie den Namen der Stadt zusammen mit dem Stichwort „Krisendienst“ googeln. Schildern Sie, dass eine Person aufgrund einer psychischen Notlage dringend Hilfe braucht. Fragen Sie bei der Polizei nach Beamt*innen, die mit Menschen in psychischen Notlagen Erfahrung haben.

Vorsichtig ein Gespräch anbieten, abwarten und beruhigen

  • Überlegen Sie, ob eine Kontaktaufnahme möglich ist. Bedenken Sie, dass die Person sich möglicherweise bedroht oder verfolgt fühlt und deshalb auch eine Annäherung als Bedrohung erleben kann.

  • Wenn Ihnen die Situation nicht geheuer ist, halten Sie Abstand und warten ab, bis professionelle Hilfe da ist.

  • Nähern Sie sich nicht, ohne zu fragen, ob dies der Person recht ist. Reagiert Ihr Gegenüber verängstigt oder aggressiv, ziehen Sie sich wieder zurück. Verstellen Sie der Person keine „Fluchtwege“, zum Beispiel Ausgänge. Auch das könnte sie als Bedrohung erleben.

  • Drängen Sie nicht. Lassen Sie Ihrem Gegenüber Zeit, sich zu beruhigen und zu antworten. Allein Ihre Anwesenheit kann beruhigen.

  • Wenn andere Menschen da sind, sorgen Sie dafür, dass immer nur eine Person spricht. Kreisen Sie die Person nicht ein.

  • Erkundigen Sie sich, ob Sie Familie, Freund*innen oder eine behandelnde Ärzt*in oder Psychotherapeut*in benachrichtigen können. Warten Sie ab, ob Ihr Gegenüber Hilfe annehmen kann. Hilfe zu holen, ist das Beste, was Sie tun können.

  • Wenn die Person Ihnen Dinge schildert, dass sie zum Beispiel von Außerirdischen verfolgt wird, eine große Katastrophe droht oder sie „Jesus Christus“ ist, nehmen Sie die Schilderungen ernst. Solche bizarren oder ungewöhnlichen Vorstellungen sind für die Person real. Versuchen Sie, die Person nicht zu beruhigen, indem Sie sagen, dass Sie gar keine Außerirdischen sehen können. Hören Sie einfach zu. Bieten Sie an, bei ihr zu bleiben, bis Hilfe kommt. Lassen Sie zu, wenn sich die Person zurückzieht.

  • Lenken Sie das Gespräch auf andere Themen. Fragen Sie zum Beispiel nach, ob Ihr Gegenüber Durst hat oder etwas trinken möchte.

  • Bewegen Sie sich nicht plötzlich oder schnell. Kündigen Sie an, was Sie machen. Fragen Sie zum Beispiel nach, ob es in Ordnung ist, wenn Sie jetzt versuchen, Angehörige anzurufen.

  • Gefährden Sie sich nicht selbst. Sorgen Sie stets für Ihre eigene Sicherheit oder die Sicherheit anderer in der Situation. Achten Sie darauf, dass auch Ihnen ein Fluchtweg bleibt.

Pressehintergrund: Psychische Erkrankungen und Gewalt

Es ist sehr viel wahrscheinlicher, von einem psychisch gesunden als von einem psychisch kranken Menschen verletzt zu werden. Das allgemeine Risiko in Deutschland, durch ein Gewaltverbrechen zu sterben, lag im Jahr 2019 bei ungefähr eins zu 160.000. Das Risiko, durch die Gewalttat eines psychisch kranken Menschen zu sterben, liegt dagegen nur bei etwa eins zu eineinhalb Millionen und ist damit verschwindend gering.

„Bei der Berichterstattung über einzelne psychisch kranke Gewalttäter*innen entsteht schnell der Eindruck, dass alle psychisch kranken Menschen gefährlich sind“, stellt BPtK-Präsident Munz fest. „Dies führt aber dazu, dass insbesondere schwer psychisch kranke Menschen scheuen, sich Hilfe bei Psychotherapeut*innen oder Ärzt*innen zu suchen, weil sie befürchten, sonst für Gewalttäter*innen oder, wie es eine Patientin formulierte, für ‚Monster‘ gehalten zu werden. Der wirksamste Schutz vor Gewalt ist aber das frühe Erkennen und Behandeln von schweren psychischen Erkrankungen. Eine rechtzeitige und ausreichende Behandlung senkt das Gewaltrisiko drastisch.“ Die BPtK hat deshalb einen Pressehintergrund „Psychische Erkrankungen und Gewalt“ zusammengestellt. Damit lassen sich insbesondere die Risiken besser einschätzen, die psychisch kranke Menschen für andere darstellen.