Akutbehandlung und Gruppentherapie ab 1. Oktober per Video möglich

Bewertungsausschuss passt EBM an

(BPtK) Psychotherapeut*innen können ab dem 1. Oktober Behandlungen in akuten Krisen und Gruppentherapien auch per Video anbieten. Der Bewertungsausschuss hat hierfür den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) entsprechend angepasst. „Damit kann Patient*innen in akuten psychischen Notlagen künftig noch flexibler geholfen werden“, stellt Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), fest. „Gerade Menschen in Krisen, die kurzfristig eine intensive psychotherapeutische Unterstützung benötigen, beispielsweise um eine Einweisung ins Krankenhaus zu vermeiden, kann nunmehr auch per Videobehandlung geholfen werden. Sie müssen nicht mehr für jeden Behandlungstermin in die Praxis kommen.“ Die BPtK hatte sich intensiv dafür eingesetzt, dass Akutbehandlungen auch per Video erbracht werden können.

Auch Gruppenpsychotherapie und die gruppenpsychotherapeutische Grundversorgung mit bis zu acht Patient*innen können künftig per Video angeboten werden.

Die Änderungen gehen auf das Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (DVPMG) zurück, das am 9. Juni in Kraft getreten ist.

Eingangsdiagnostik, Indikationsstellung und Aufklärung erfordern weiterhin den unmittelbaren persönlichen Kontakt zwischen Psychotherapeut*in und Patient*in.

Technische und fachliche Voraussetzungen zur Durchführung der Videobehandlung sind in der Anlage 31b zum Bundesmantelvertrag-Ärzte geregelt. Danach kann nur ein Videodienstanbieter genutzt werden, der zertifiziert ist.

Arbeitsunfähigkeit in der Pandemie: Soziale Berufe besonders oft krank

AOK-Fehlzeiten-Report 2021

(BPtK) Menschen mit sozialen Berufen hatten besonders unter der Corona-Pandemie zu leiden. Zwischen März 2020 und Juli 2021 gab es die meisten Krankschreibungen aufgrund des Corona-Virus bei Beschäftigten in der Betreuung und Erziehung von Kindern (6.609 je 100.000 Versicherte), Ergotherapeut*innen (5.876 je 100.000 Versicherte) sowie Gesundheits- und Krankenpfleger*innen (5.801 je 100.000 Versicherte). Damit waren diese Arbeitnehmer*innen fast doppelt so oft wegen COVID-19 krankgeschrieben wie der Durchschnitt. Vor allem Pflegekräfte waren mit 25,4 Tagen überdurchschnittlich lange arbeitsunfähig (+6,1 Tage). Das sind die zentralen Ergebnisse der AOK-Fehlzeiten-Reports 2021, für den das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) die Daten von 15,6 Millionen erwerbstätigen AOK-Versicherten auswertete.

Insgesamt waren 2020/2021 weniger Beschäftigte krank als vor der Pandemie, da vor allem Atemwegserkrankungen seltener auftraten. Wer jedoch erkrankte, fehlte auf dem Arbeitsplatz deutlich länger als vor der Pandemie. Die längsten Krankschreibungen gab es dabei aufgrund psychischer Beschwerden. Im Vergleich zum Zeitraum März 2018 bis Juli 2019 nahm hier die seit Jahren hohe Krankheitsdauer während der Corona-Pandemie noch einmal um vier Tage zu (von 25,6 auf 29,6 Fehltage pro Krankschreibung).

Die Zunahme psychischer Beschwerden durch die Pandemie bestätigen auch zwei repräsentative Befragungen von je rund 2.500 Erwerbstätigen im Alter von 20 bis 65 Jahren, die das FORSA-Institut im Auftrag des WIdO durchgeführt hat: Im Frühjahr 2021 berichteten 88 Prozent der Befragten von Niedergeschlagenheit oder Reizbarkeit – ein Anstieg von 20 Prozent im Vergleich zu Anfang 2020. Psychosomatische Beschwerden nahmen im Laufe der Pandemie von 80 auf 84 Prozent zu, insbesondere Konzentrationsprobleme (+ 10%), Schlafstörungen (+7 %) sowie Angstgefühle (+ 9%). Die psychischen Beschwerden waren dabei umso geringer, je besser das Unternehmen die Krise bewältigte: Je flexibler das Unternehmen reagierte und je mehr Unterstützung die Beschäftigten durch Führungskräfte erhielten, desto geringer waren die Fehltage.

Kinder- und Jugendgesundheit in Pandemiezeiten stärken

Gemeinsame Empfehlungen von BMG und BMSFSJ

(BPtK) Die sozialen Einschränkungen der Corona-Pandemie haben junge Menschen besonders stark getroffen. Vor allem diejenigen, die bereits ohnehin unter schwierigen Bedingungen aufwachsen, haben unter den Kita- und Schulschließung sowie Kontaktbeschränkungen besonders gelitten. Um Kinder und Jugendliche zukünftig besser vor negativen Pandemiefolgen zu schützen, hat eine Arbeitsgruppe von Bundesgesundheitsministerium (BMG) und Bundesfamilienministerium (BMSFSJ) gemeinsame Empfehlungen vorgelegt.

Ein Fokus der Empfehlungen liegt darauf, besonders belastete Kinder und Jugendliche frühzeitig zu erkennen und zu unterstützen. Hierzu soll auch ein ausreichendes psychotherapeutisches Versorgungsangebot sichergestellt werden. Die Kassenärztlichen Vereinigungen werden aufgefordert, erhöhte Versorgungsbedarfe zu erfassen und die ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente zu nutzen, um diese zu decken. Hierzu gehören zum Beispiel Sonderbedarfszulassungen, finanzielle Anreize zur Erleichterung des Zugangs zur psychotherapeutischen Versorgung für neue Patient*innen und die Förderung der Gruppenpsychotherapie.

Weiterhin sollen flächendeckende Schließungen von Schulen, Kitas, Sportvereinen und außerschulischen Bildungseinrichtungen im Herbst und Winter vermieden werden. Außerdem sollen allen Kindern und Jugendlichen verstärkt präventive Angebote der Gesundheitsförderung zugänglich gemacht werden. Diese sollten vor allem vor Ort den Kindern in ihren Alltagswelten zur Verfügung stehen. In diesem Zusammenhang sollen auch die Erziehungs- und Familienberatungsstellen und die Angebote der Frühen Hilfen ausgebaut werden. Da viele Kinder noch nicht geimpft werden können, sollen umfassende Hygiene- und Schutzkonzepte, inklusive eines umfassenden Testangebots, an Kitas und Schulen zur Verfügung stehen.

60 Prozent mehr Kinder und Jugendliche wegen Übergewicht stationär behandelt

DAK-Kinder- und Jugendreport 2021 zu Corona-Folgen

(BPtK) Im Jahr 2020 wurden rund 60 Prozent mehr Kinder und Jugendliche wegen starkem Übergewicht (Adipositas) in Krankenhäusern behandelt als im Vorjahr. Auch die stationären Behandlungen von stark untergewichtigen jungen Menschen nahmen um 35 Prozent zu. Ebenso erhöhte sich die Anzahl der Behandlungen von Essattacken mit anschließendem Erbrechen (Bulimie) und Magersucht um zehn Prozent. Waren diese Zahlen während des ersten Lockdowns (Frühjahr 2020) meist noch rückläufig, stiegen sie während des zweiten Lockdowns (November bis Dezember 2020) im Vergleich zum Vorjahr rapide an. Dies zeigt eine Sonderanalyse des DAK-Kinder- und Jugendreports 2021, bei dem die Krankenhausdaten von 800.000 Kindern und Jugendlichen bis 17 Jahren ausgewertet wurden.

Zu wenig Bewegung, kein Sport in Schule oder in Vereinen, mehr Online- und Konsolenspiele – die Corona-Pandemie verschlechtert massiv die körperliche und psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. DAK-Vorstandschef Andreas Storm forderte deshalb einen „Aktionsplan Kindergesundheit“ sowie eine Enquete-Kommission „Kindergesundheit in Pandemiezeiten“, wie auch die Gesundheitsministerkonferenz der Länder im Juni dieses Jahres vorgeschlagen hatte. „Die Enquete-Kommission sollte auch Psychotherapeut*innen zurate ziehen“, ergänzte Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer.

Info-Portal zu Depression für Kinder und Jugendliche

Webseite www.ich-bin-alles.de

(BPtK) Bereits vor der Corona-Pandemie litt jede zehnte Minderjährige* unter depressiven Beschwerden. Die Pandemie hat das noch verstärkt: Der Anteil an Kindern und Jugendlichen mit depressiven Symptomen liegt mittlerweile bei 15 Prozent. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie des LMU Klinikums München hat deshalb in Partnerschaft mit der Beisheim Stiftung die Website www.ich-bin-alles.de entwickelt. Das Info-Portal richtet sich an Kinder, Jugendliche und ihre Eltern, die sich über Depressionen informieren und erfahren wollen, was sie tun können, um Depressionen zu verhindern, und welche Hilfemöglichkeiten es gibt, wenn ein Kind unter Depressionen leidet. Im Kapitel „Depression behandeln“ wird auch ausführlich eine psychotherapeutische Behandlung dargestellt. Die zentrale Botschaft des Info-Portals ist: „Ich bin traurig, mutig, schwach, stark – alles.“

Ambulante Komplexbehandlung für schwer psychisch kranke Menschen geregelt

G-BA beschließt Richtlinie für Versorgung in multiprofessionellen Netzverbünden

(BPtK) Für Erwachsene mit schweren psychischen Erkrankungen hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine neue ambulant-intensive Komplexbehandlung geregelt. Die neue Richtlinie soll eine aufeinander abgestimmte multiprofessionelle Behandlung und Betreuung sicherstellen. Künftig kann dadurch den oft chronisch kranken Patient*innen mit wiederkehrenden psychischen Krisen ein intensivtherapeutisches Angebot gemacht und ein stabileres und selbstständigeres Leben unterstützt werden, sodass stationäre Behandlungen möglichst vermieden werden. Dafür schließen sich Psychotherapeut*innen und Ärzt*innen in regionale Netzverbünden zusammen, die enge Kooperationen mit Krankenhäusern, ambulanter psychiatrischer Pflege, Soziotherapeut*innen und Ergotherapeut*innen vereinbaren. Die Patient*innen können eine Psychotherapeut*in oder Ärzt*in als zentrale Ansprechpartner*in wählen, die für sie die gesamte Behandlung plant („Bezugspsychotherapeut*in, -ärzt*in“).

Welche Patient*innen können teilnehmen?

Das neue Versorgungsangebot richtet sich an Erwachsene mit der Diagnose einer schweren psychischen Erkrankung (F1 bis F9 nach ICD-10 und GAF-Wert ≤ 50), die durch mindestens zwei verschiedene Berufsgruppen behandelt werden müssen. Die GAF-Skala ist eine international wissenschaftlich anerkannte Klassifikation zur Beschreibung der psychischen, sozialen und beruflichen Einschränkungen von psychisch erkrankten Menschen.

Netzverbünde organisieren die Versorgung

Für einen regionalen Netzverbund müssen vor Ort mindestens zehn Psychotherapeut*innen und Fachärzt*innen einen Vertrag schließen, mit dem sie eine ambulante Komplexbehandlung vereinbaren. Davon müssen jeweils mindestens vier Psychiater*innen oder Psychosomatiker*innen und vier Psychotherapeut*innen sein. Der Verbund muss außerdem Kooperationsverträge mit mindestens einem psychiatrischen Krankenhaus (mit regionaler Versorgungsverpflichtung) und mit mindestens einer zugelassenen Soziotherapeut*in, Ergotherapeut*in oder ambulanten psychiatrischen Pflegekraft abschließen. Netzverbund- und Kooperationsverträge sind den Kassenärztlichen Vereinigungen zur Prüfung und Genehmigung vorzulegen. Für Patient*innen und Zuweiser*innen veröffentlichen die Kassenärztlichen Vereinigungen ein öffentliches Verzeichnis der Netzverbünde und deren Mitglieder.

An wen können sich die Patient*innen wenden?

Patient*innen können sich direkt an eine Netz-Psychotherapeut*in oder Netz-Psychiater*in wenden. Sie können auch von einer niedergelassenen Ärzt*in oder Psychotherapeut*in an sie überwiesen oder von einem Krankenhaus oder dem Sozialpsychiatrischen Dienst empfohlen worden sein. Sie sollen dann innerhalb von sieben Werktagen einen Sprechstunden-Termin erhalten. In dieser „Eingangssprechstunde“ wird abgeklärt, ob die Voraussetzungen für eine Komplexbehandlung vorliegen. Bei Psychotherapeut*innen geschieht dies in der regulären psychotherapeutischen Sprechstunde. Diese schließt zwar bereits eine differenzialdiagnostische Abklärung mit ein. Nicht zuletzt zur somatischen Abklärung soll jedoch zusätzlich eine vollständige differenzialdiagnostische Abklärung bei einer Psychiater*in oder Psychosomatiker*in durchgeführt werden. Diese differenzialdiagnostische Abklärung soll innerhalb von weiteren sieben Werktagen erfolgen.

Damit müssen nicht immer sowohl eine Psychotherapeut*in als auch eine Psychiater*in als „Behandlungsteam“ zusammenarbeiten, wie es die Kassenärztliche Bundesvereinigung vorgeschlagen hatte. In der Praxis dürften die Behandlungsbedarfe jedoch solche Teams in der Regel notwendig machen.

Bezugspsychotherapeut*in und Gesamtbehandlungsplan

Die Bezugspsychotherapeut*in oder Bezugsärzt*in erstellt auf der Basis der Eingangs- und Differenzialdiagnostik einen „Gesamtbehandlungsplan“. Der Plan beschreibt die erforderlichen psychotherapeutischen, ärztlichen und medikamentösen Leistungen, aber auch die Leistungen anderer Gesundheitsberufe und Einrichtungen sowie Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe. Er wird zu Behandlungsbeginn mit allen beteiligten Personen und Einrichtungen abgestimmt. Dazu gehört stets auch ein „Kriseninterventionsplan“.

Die Patient*in entscheidet zu Beginn der Behandlung, wer ihre zentrale Ansprechperson sein soll. Die Verantwortung für den Gesamtbehandlungsplan muss jedoch bei einer Bezugsärzt*in liegen, wenn somatische Hauptdiagnosen im Vordergrund der Behandlung stehen und einer kontinuierlichen Überwachung bedürfen oder wenn die psychopharmakologische Behandlung regelmäßige Dosisanpassungen erfordert. Bereits begonnene Behandlungen bei Ärzt*innen oder Psychotherapeut*innen, die nicht zum Netzverbund gehören, können fortgesetzt werden. Dafür müssen sie dem Gesamtbehandlungsplan zustimmen und an den Fallbesprechungen teilnehmen. In den Fallbesprechungen soll regelmäßig geprüft werden, ob die Therapieziele erreicht werden, weitere Leistungen notwendig sind oder der Gesamtbehandlungsplan angepasst werden muss.

Eine Bezugsärzt*in oder -psychotherapeut*in kann allerdings nur Netzmitglied werden, wenn sie über einen vollen Versorgungsauftrag verfügt. Angesichts der häufigen Teilung von Versorgungsaufträgen könnte dies zu erheblichen Engpässen beim Aufbau der ambulanten Komplexbehandlung führen. In manchen Kassenärztlichen Vereinigungen verfügen bis zwei Drittel der Vertragspsychotherapeut*innen über einen halben Versorgungsauftrag. Diese Bedingung wurde insbesondere damit begründet, dass die zentrale Ansprechpartner*in der Patient*in ausreichend erreichbar sein sollte. Berufsausübungsgemeinschaften, aber auch Praxisgemeinschaften erfüllen in der Regel diese Voraussetzungen.

Unterstützung der Patient*innen während der Versorgung

Die konkrete Koordination der Leistungen, die eine Patient*in erhalten soll, muss vollständig an eine „nichtärztliche Person“ delegiert werden. Diese soll Termine vereinbaren, den Informationsaustausch im Behandlungsteam organisieren, ein Rückmeldesystem zur Termineinhaltung einrichten, aber auch die Patient*in aufsuchen. Dies kann beispielsweise eine zugelassene Soziotherapeut*in oder ambulant tätige psychiatrische Krankenpflegekraft übernehmen oder Personal, das in einer Praxis oder vom Netzverbund angestellt ist und über eine fachspezifische Qualifikation in der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen verfügt.

Die verpflichtende Delegation der Koordinationsaufgaben widerspricht den Grundsätzen der medizinischen Versorgung. Bei Bedarf und fachlicher Notwendigkeit müssen Bezugspsychotherapeut*innen und -ärzt*innen Koordinationsaufgaben auch selbst übernehmen können. Fachlich unsinnig ist es ferner, nicht auch Psychotherapeut*innen und Ärzt*innen eine aufsuchende Behandlung zu ermöglichen, um zum Beispiel eine drohende Krankenhausbehandlung abzuwenden. Deshalb ist ein solches Home-Treatment durch Psychotherapeut*innen und Ärzt*innen auch bei der stationsäquivalenten psychiatrischen Behandlung aus dem Krankenhaus heraus vorgesehen. Der Ausschluss der Heilberufler*innen ignoriert auch, dass in manchen Regionen sozio- und ergotherapeutische Angebote bei psychischen Erkrankungen und ambulante psychiatrische Pflege nur sehr eingeschränkt existieren. Gerade in strukturschwachen und ländlichen Regionen könnte so der Aufbau einer wohnortnahen, ambulanten Komplexbehandlung unnötig erschwert sein oder unmöglich gemacht werden.

Gesetzlicher Hintergrund und Ausblick

Der G-BA war mit der gesetzlichen Reform der Psychotherapeutenausbildung am 15. November 2019 beauftragt worden, eine berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung, insbesondere für schwer psychisch kranke Versicherte mit einem komplexen psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlungsbedarf zu regeln.

Die Richtlinie zur ambulanten Komplexversorgung wird nun innerhalb von zwei Monaten vom Bundesgesundheitsministerium rechtlich geprüft. Die BPtK fordert, dass das Bundesgesundheitsministerium im Zuge seiner Rechtsaufsicht über Auflagen die kritischen Punkte korrigiert, die eine ausreichende Umsetzung der ambulanten Komplexbehandlung zu verhindern drohen. Nach einer Genehmigung hat der Bewertungsausschuss sechs Monate Zeit, den Einheitlichen Bewertungsmaßstab anzupassen und die Vergütung für die neuen Leistungen zu regeln. Danach könnten in der zweiten Jahreshälfte 2022 die ersten Netzverbünde ihre Arbeit aufnehmen.

Darüber hinaus wird der G-BA demnächst die Beratungen für eine Regelung für die ambulante Komplexbehandlung von Kindern und Jugendlichen mit schweren psychischen Erkrankungen aufnehmen.

Neue BPtK-Leitlinien-Info „Grundlagen und Übersicht“

Welche Leitlinien sind wichtig, bereits veröffentlicht oder geplant?

(BPtK) Zu den meisten psychischen Erkrankungen liegen mittlerweile evidenzbasierte Leitlinien vor. Viele empfehlen psychotherapeutische Behandlungen als Mittel der Wahl. Auch deshalb ist Psychotherapie in der ambulanten und stationären Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht mehr wegzudenken.

Leitlinien sind häufig sehr umfangreiche Kompendien. Nicht alle Leitlinien sind immer leicht zu finden. Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) will dazu beitragen, dass die Empfehlungen wichtiger Leitlinien praxisorientiert für Psychotherapeut*innen verfügbar sind. Deshalb wurde die Reihe Leitlinien-Info konzipiert. In dieser Leitlinien-Info „Grundlagen und Übersicht“ informiert die BPtK darüber, wie Leitlinien erarbeitet werden und welche für Psychotherapeut*innen wichtig, bereits veröffentlicht oder geplant sind.

Weiter großer Mangel an Psychotherapie in psychiatrischen Kliniken

G-BA missachtet mit neuer PPP-Richtlinie gesetzlichen Auftrag

(BPtK) Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) missachtet mit der neuen Richtlinie zur Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik (PPP-Richtlinie) den gesetzlichen Auftrag, die Psychotherapie in den Krankenhäusern für psychisch kranke Menschen zu stärken. „Psychiatrische Kliniken haben seit Langem zu wenige Psychotherapeut*innen, um ihre Patient*innen leitlinienorientiert zu versorgen“, erklärt Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). „Im Kern ging es bei der Reform der psychiatrischen Krankenhäuser um mehr Zeit für die Patient*innen: mehr Zeit für Gespräche, mehr Zeit für den Aufbau von tragfähigen und vertrauensvollen Beziehungen, mehr Zeit für Kriseninterventionen.“ Nach der PPP-Richtlinie kann eine Patient*in zum Beispiel durchschnittlich 50 Minuten Einzeltherapie pro Woche erhalten. Dagegen liegt das intensivtherapeutische Angebot in ambulanten Praxen schon bei drei Stunden Einzeltherapie je Woche. „Die G-BA-Entscheidung ist aufgrund der chronischen psychotherapeutischen Unterversorgung in den psychiatrischen Kliniken unverantwortlich“, stellt BPtK-Präsident Munz fest. „Der G-BA hat einen fachlichen Spielraum gesetzliche Vorgaben auszufüllen, aber gar nichts zu tun, verstößt eindeutig gegen den gesetzlichen Auftrag.“

Auch ein Kompromissvorschlag des unparteiischen Vorsitzenden Prof. Josef Hecken in letzter Minute dokumentiert Hilflosigkeit angesichts des Unwillens der Krankenhäuser und der Krankenkassen, den gesetzlichen Auftrag umzusetzen. Er will sicherstellen, dass Anfang 2022 Daten zur Personalsituation in den Kliniken vorliegen. „Auch wenn wir wissen, über wie viel Personal die Kliniken verfügen, sagt das noch nichts darüber aus, wie viel Psychotherapie bei den Patient*innen ankommt, und vor allem nichts darüber, wie viel es denn sein sollte“, erklärt BPtK-Präsident Munz fest. „Diese Fragen lassen sich mit Daten zum Ist-Zustand nicht beantworten.“

Die BPtK fordert deshalb das Bundesgesundheitsministerium auf, den Beschluss nur mit der Auflage zu genehmigen, dass der G-BA kurzfristig die Minutenwerte für Psychotherapie erhöht. Die BPtK hatte zusammen mit der Bundesärztekammer und der Patientenvertretung im G-BA eine Erhöhung der Minuten für Einzelpsychotherapie auf mindestens 75 bis 100 Minuten gefordert.

Rückblick: Das Scheitern der Reform der psychiatrischen Krankenhäuser

  • 2012 erhält der G-BA den Auftrag, Empfehlungen für die Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik bis 2017 zu erarbeiten (§ 137d Psychiatrie-Entgeltgesetz): Die Empfehlungen sollen die Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) ablösen. Mit den überholten Standards der 20 Jahre alten Psych-PV ist eine Versorgung nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft schon lange nicht mehr möglich.
  • 2014 nimmt der G-BA die Beratungen auf.
  • 2016: Der G-BA legt keine Personalempfehlungen vor. Der Gesetzgeber präzisiert seinen Auftrag und verlangt verbindliche Mindestvorgaben für die Ausstattung mit therapeutischem Personal bis 2020 (§136a Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen)
  • 2019: Der G-BA verabschiedet eine Erstfassung der PPP-Richtlinie und erhöht die Minutenwerte für Einzeltherapie von 29 Minuten je Woche auf 50 Minuten. Das entspricht der durchschnittlichen Versorgung von psychisch kranken Menschen in psychotherapeutischen Praxen. Deren intensivtherapeutisches Angebot liegt jedoch bei drei Stunden je Woche. Durch die gestiegenen Anforderungen z. B. an Dokumentation und Qualitätssicherung ist nicht einmal sichergestellt, dass die 50 Minuten in der Klinik auch bei den Patient*innen ankommen.
  • 2019: Dem Gesetzgeber reicht die verabschiedete G-BA-Richtlinie nicht aus. Er erteilt umgehend den Auftrag, die Richtlinie bis zum 1. Januar 2021 um Mindestvorgaben für Psychotherapeut*innen zu ergänzen (Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbildung).
  • 2020: Der G-BA hält die Frist nicht ein. Der Gesetzgeber gewährt eine Fristverlängerung bis 2022 (Krankenhauszukunftsgesetz).
  • September 2021: Der G-BA verabschiedet eine PPP-Richtlinie und erhöht nicht die Mindestvorgaben für Psychotherapie. Die BPtK hatte zusammen mit der Bundesärztekammer und der Patientenvertretung im G-BA eine Erhöhung der Minuten für Einzelpsychotherapie auf mindestens 75 bis 100 Minuten gefordert.

Traumatisierte Flüchtlinge nicht abschieben

BPtK-Forderungen zur Bundestagswahl

(BPtK) Traumatisierte Flüchtlinge müssen besser vor Abschiebungen geschützt werden. Viele leiden aufgrund von lebensbedrohlichen Erlebnissen in ihrem Heimatland oder auf der Flucht unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Dies ist eine schwere psychische Erkrankung, die zu einem erhöhten Suizidrisiko führen kann. Damit gehören sie grundsätzlich zu den Flüchtlingen, für die eine Gefahr für Leib und Leben besteht. „Posttraumatische Belastungsstörungen sind aus fachlicher Sicht ohne Frage als Krankheit anzuerkennen, die eine Abschiebung verhindern kann“, fordert Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). „Vor einer Abschiebung ist deshalb zu prüfen, ob eine PTBS besteht.“

Die BPtK fordert ferner, Flüchtlinge besser psychotherapeutisch zu versorgen. „Psychisch kranke Flüchtlinge müssen psychotherapeutisch versorgt werden – unabhängig davon, wie lange sie schon in Deutschland sind und welchen Aufenthaltsstatus sie haben“, erklärt BPtK-Präsident Munz. Bislang haben Flüchtlinge in den ersten 18 Monaten in aller Regel keinen rechtlichen Anspruch auf eine Psychotherapie.

Die BPtK fordert schließlich, dass die Krankenkassen die Kosten für eine qualifizierte Sprach- und Kulturmittlung übernehmen, wenn Patient*innen noch nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen. Dazu bedarf es eines gesetzlichen Anspruches auf professionelle Sprachmittlung im SGB V analog zum Dolmetschen für Gehörlose in Gebärdensprache. „Ohne einen Anspruch auf professionelle Sprachmittlung ist eine erfolgreiche Behandlung von fremdsprachigen Patient*innen nicht möglich“, stellt Munz fest. „Psychotherapie basiert elementar darauf, dass eine sprachliche Verständigung gelingt.“

Weiterbildung von Psychotherapeut*innen finanziell absichern

BPtK-Forderung an die nächste Bundesregierung

(BPtK) Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) fordert, die Weiterbildung von Psychotherapeut*innen finanziell zu fördern. „Der nächste Bundestag muss sicherstellen, dass Psychotherapeut*innen während der ambulanten und stationären Weiterbildung Gehälter analog zu Krankenhaus-Tarifverträgen erhalten und ihre Weiterbildung in Theorie, Selbsterfahrung und Supervision nicht selbst bezahlen müssen“, erläutert BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz. „Erst so können die Reformziele erreicht werden, prekäre Lebensverhältnisse für Psychotherapeut*innen in der Weiterbildung zu vermeiden und die psychotherapeutische Versorgung zu sichern. Wir brauchen eine finanzielle Förderung wie bei Fachärzt*innen für Allgemeinmedizin und grundversorgenden Fachärzt*innen.“